Donnerstag, 14 Juni 2018 13:44

HEMPEL, E. (2008)

Untersuchungen zum Ausmaß der Situationsspezifität sozialer Hierarchien am Beispiel der Mufflon-Herde (Ovis aries musimon).

Studies on the dimension of specific situations in social hierarchy using the example of a moufflon herd (Ovis aries musimon).

Bachelorarbeit

133 Seiten

Evolution und Systematik der Tiere, Philipps Universität Marburg
Leitung: Prof. Dr. Lothar A. Beck
Opel-Zoo Kronberg

Zusammenfassung:

In der vorliegenden Arbeit wurden die Ziele verfolgt, die Relevanz der Komponente Motivation für die Dominanzstrukturen einer Herde Europäischer Wildschafe unter Zoohaltungsbedingungen zu quantifizieren und die Reichweite der formalen Dominanz nach DE WAAL (1989) zu erfassen. Da zum einen die Motivation für dominanzrangrelevante Interaktionen vom situativen Kontext abhängt (v.a der Qualität der Ressource s.l., um die konkurriert wird) und sich zum anderen eine etwaige Auswirkung von Dominanzhierarchien auf nicht-.sozionegative Aspekte der sozialen Organisation am ehesten in ebenfalls hierarchisch organisierten Aspekten finden lassen sollten, thematisiert die vorliegende Arbeit primär situationsspezifische soziale Hierarchien. Zwei zusätzliche Ziele lagen darin, den Integrationsprozess eines neuen Herdenmitglieds zu dokumentieren und eventuell vorhandene verwandtschaftliche Bindungen innerhalb der Herde zu identifizieren.

Die individuenbasierte Studie wurde an der zwölf Tiere umfassenden Herde Europäischer Mufflons (Ovis aries musimon) des Georg von Opel-Freigeheges für Tierforschung während der Paarungszeit im Zeitraum vom 09.12.2007-08.02.2008 durchgeführt.

Um insgesamt vier Aspekte der sozialen Organisation- Dominanzstrukturen, hierarchische und nicht-hierarchische Assoziationsstrukturen, Geruchprüfungsstrukturen-zu erfassen, wurden durch eine Kombination verschiedener Sampling- und Recording-Verfahren (Behaviour- und Scan-Sampling) dyadische und kollektive Verhaltensweisen protokolliert. Zur statistischen Auswertung (vor allem der mittels Scan-Sampling erhobenen Daten) wurden multivariate Methoden (Multidimensionale Skalierung und hierarchische Cluster-Analyse) angewandt.

Zum Erfassen der Dominanzstrukturen wurden relevante agonistische Interaktionen in vier Situationen, von denen drei die gesamte Herde betrafen(„Raufe“: Konkurrenz um Heu, „Trog“: Konkurrenz um Saft- und Kraftfutter, „Gelände“: Konkurrenz vor allem um „persönlichen Raum“) und eine nur die adulten Widder („Konkurrenz um Geschlechtspartner“), aufgezeichnet und für die ersten drei je eine Dominanzhierarchie ermittelt. Alle drei Dominanzhierarchien waren nicht-zufällig, stabil und linear. Sie besaßen nur eine geringe Situationsspezifität, sodass eine situationsübergreifende Konsensus-Dominanzhierarchie erstellt werden konnte. Diese Hierarchie war, soweit dies mit den verfügbaren Informationen ausgesagt werden konnte, primär nach dem Alter und sekundär nach dem Geschlecht gegliedert: Adulte Tiere waren durchgängig ranghöher als nicht-adulte und innerhalb der Altersklassen Männchen dominanter als Weibchen. Die Dominanzrelation der beiden adulten Widder bei der Konkurrenz um Geschlechtspartner entsprach der, die sie in den anderen drei Situationen besaßen. Die Tiere besetzten die Rangpositionen in der Regel in derselben Reihenfolge, und alle drei Rangordnungen ließen sich in jeweils drei Schichten gliedern, die in zwei der drei Situationen (Ausnahme „Gelände“) den Statusgruppen der Herde entsprachen.

Bezüglich der Relevanz des Faktors Motivation lässt sich aus dem weitergehenden Fehlen einer Situationsspezifität der Dominanzstrukturen schließen, dass der Qualität und Intensität der Auseinandersetzungsmotivation in der vorliegenden Studie keine große Relevanz für den Ausgang der Konflikte zukam. Dennoch war sie nicht völlig bedeutungslos, denn die beiden rein futtermotivierten Hierarchien waren sich, wenn auch nur geringfügig – den Hypothesen entsprechend – ähnlicher, und die in der Situation mit der höherwertigen Futterressource war differenzierter. Ebenfalls der Vorhersage entsprechend zeichnete sich die vorwiegend von Konkurrenz um die abstrakte Größe „persönlicher Raum“ motivierte Dominanzhierarchie durch die stärkste Eindeutigkeit aus. Dies steht in Einklang mit der Annahme, dass die mit dieser Situation sichtbar werdenden Dominanzreaktionen am ehesten der DE WAALSCHEN (1989) formalen Dominanz entsprechen.

Als Indikator für die nicht-hierarchischen und nicht-situationsgebundenen Assoziationsstrukturen dienten die Nachbarschaftshäufigkeiten, die mittels der Nächster-Nachbar-Methode erfasst wurden. Die durch die identifizierten Substrukturen der Herde bestanden vor allem aus potentiellen Mutter-Jungtier-Dyaden, die vermutlich auch eine Matrilinie mit einem Jungtier des letzten Jahres umfassten. Darüber hinaus wurden auch Gruppierungen, zu denen mehrere Tiere derselben statusklasse zählten, gefunden. Außerdem konnten enge Assoziationen zwischen Tieren verschiedenen Geschlechts identifiziert werden, die eventuell auf die Paarungszeit zurückzuführen sind.

Für die Untersuchung der Assoziationsstrukturen beim Ortswechsel wurden wanderreihenfolgen der gesamten Herde aufgenommen. Weder für spontane noch für induzierte Ergebnisse konnte eine Konsensusreihenfolge (als hierarchische Struktur) ermittelt werden. Es konnten aber auch „Module“ von Tieren innerhalb der Reihenfolgen identifiziert werden, die besonders häufig unmittelbar aufeinander folgende Positionen besetzt hatten. Dabei fiel auf, dass Jungtiere fast ausschließlich mit adulten Weibchen Module bildeten, die aber nur zum Teil Entsprechungen in den anderen untersuchten Aspekten der sozialen Organisation fanden. Für die Belegung der vordersten Position konnte nur für die spontanen Ereignisse die Präferenz eines adulten (Subdominanten) Weibchens ausgemacht werden; bei den induzierten Reihenfolgen war bemerkenswert, dass teils dominanter Tiere, teils aber auch Lämmer häufiger die erste Position besetzten. Als Erklärung dafür wurde die fehlende Differenzierung zwischen den Stimulivalenzen der induzierten Ereignisse in Betracht gezogen. Die hinterste Position wurde bei  beiden Wanderreihenfolgentypen gehäuft von einem der beiden adulten Widder oder einem Weibchen eingenommen. Ob es sich dabei um eine „Führung“ der Herde vom Ende der Reihenfolge handelte oder vielleicht um ein Verhalten, das in der freien Wildbahn dem Schutz vor Prädatoren dient, kann nicht entschieden werden.

Als weitere nicht-sozionegative Komponente der sozialen Organisationen wurden zwei Typen von Geruchsprüfungsstrukturen (naso-nasale und naso-anale) durch das Protokollieren investigativer Kontakte erfasst. Beide Kontaktarten fanden vorwiegend unter den adulten Tieren der Herde beiden Geschlechts statt. Die beiden adulten Widder initiierten deutlich häufiger naso-anale Kontakte als die übrigen Herdemitglieder. Für den ältesten der beiden konnte in beiden Kontaktarten deutliche Präferenzen für bestimmte adulte Weibchen festgestellt werden. Unter den Weibchen und nicht-adulten Tieren besteht eine Antiproportionalität bezüglich der Anzahl der Interaktionspartner, bei denen naso-anale Kontakte initiiert und von denen die empfangen werden.

Nach DE WAAL (1989) sollten sich formalisierte Dominanzbeziehungen auch nicht sozionegative Verhaltensbereiche hinein auswirken. Da kein Verhalten identifiziert werden konnte, das die Kriterien für formale Dominanz vollständig erfüllte-die Konflikte um die vorwiegend abstrakte Größe „persönlicher Raum“ kamen ihm lediglich am nächsten-, und die daraus erstellte Dominanzhierarchie auf Entsprechungen mit den drei anderen untersuchten Aspekten der sozialen Organisation überprüft. Es ergaben sich nur sehr geringe Zusammenhänge, da in der Regel sowohl rangferne als auch rangnahe Tiere miteinander interagierten und assoziiert waren.

Auch der Vergleich der drei übrigen Aspekte der sozialen Organisation untereinander ergab, dass sie nur zu einem geringen Teil Zusammenhänge aufweisen. Sie stellen vielmehr unabhängige Organisationsmuster dar, deren Strukturen sich nicht voneinander ableiten lassen. Um ein möglichst repräsentatives Gesamtbild der komplexen Organisation zu erhalten, bedarf es der Untersuchung aller - und gegebenenfalls noch weiterer – Aspekte.

Der Integrationsprozess eines neuen  Herdenmitglieds wurde vor allem durch die nicht- situationsgebundenen Assoziationsstrukturen dokumentiert. Diese zeigen im Zeitverlauf eine deutliche räumliche Annäherung  zwischen dem „neuen“ Widder und der übrigen Herde. Auch die anderen Aspekte der sozialen Organisation, darunter vor allem die naso-analen Geruchsprüfungsstrukturen, weisen Anzeichen des Integrationsprozesses auf.

Da für die Untersuchungsherde keine Angaben über Verwandtschaftlichen Bedingungen vorlagen, wurde geprüft, ob in den untersuchten Aspekten der sozialen Organisation Hinweise auf Verwandtschaftsbeziehungen identifiziert werden konnten. Am deutlichsten wurden Hinweise in den Ergebnissen der Nachbarschaftshäufigkeiten gefunden, die zudem Entsprechungen in den übrigen Aspekten besaßen. Dadurch konnten zwei potentielle matrilineare Verwandtschaftsgruppen ermittelt werden: ein Mutter-Lamm-Paar und eine Mutter-Lamm-Jährling-Triade. Im Falle der Dreiergruppe konnten zahlreiche Hinweise auf die Existenz einer Jahrgangsübergreifenden Geschwisterbindung gefunden werden. Zwischen einem der Mutter-Lamm-Paare kann auf Grund einer physiognomischen Anomalie eine Verwandtschaft als gesichert gelten.

Abstract:

The aims of this study were to quantify the relevance of motivation for the structures of dominance in a herd of European moufflon in captivity and to gather the range of “formal dominance” DE WAAL (1989). Two additional aims were to record the process of integration of a new herd member and to identify possible kinships of group members.
The individual based study was realized on the 12 animals in a herd of European Moufflon (Ovis aries musimon) at the Opel-Zoo during mating season from 09.12.2007-08.02.2008.
To record all in all four aspects of social organization – structures in dominance, hierarchical and not hierarchical structures, olfactory testing- a combination of behavior and scan sampling methods were used. For statistical analyses multivariate methods (multidimensional scaling, hierarchical cluster analyses) were used.
To gather structures in dominance four relevant agonistic interactions were recorded. Three for the whole herd: “Raufe” (competition about hay), “Trog” (competition about concentrated feed plus fruit and vegetables), “Gelände” (competition about individual space) and one for the adult ram (competition about sexual partner). For the first three interactions a hierarchical dominance was created. All three hierarchical dominances are not random, stable and linear.
They are not specific for one situation, so a consensus hierarchical dominance could be created. This hierarchy was organized primary towards age and secondary towards sex: adult animals are higher in hierarchical dominance than subadult and within age classes males are more dominant than females. Both adult rams have in the category competition about sex partners the same rank like in the other three categories.
In conclusion the relevance of the factor motivation (food) was low for the issue of conflicts. Both hierarchies in competitions about food were similar, like expected. The hierarchy in the competition about individual space was the clearest one. Like expected the reactions for dominance are conform with “formal dominance” DE WAAL (1989).
As an indicator for not hierarchical and not situation linked structures, frequencies of neighborhood were recorded with the “next-neighbor-method”. The substructures in the herd were mainly build by mother-offspring units, probably also with offspring of the year prior to that. There were also groups of animals of the same status and pairs of males and females, which were probably caused by mating season.
For studies about structures in movement, sequence of movement of the whole herd was observed. As a result no hierarchical structure of sequence was shown, neither for spontaneous nor for induced events. . But inside the sequences of movement different “modules”, animals which often move sequent in the same position, like females and their offspring. In spontaneous events an adult (subdominant) female was often in the first position of moving sequence, as in induced events sometimes dominant animals, sometimes offspring were in first position. The last position in moving sequence was often occupied by the both rams or one female. If this behavior could be seen as “leading” from end of sequence or protection against predators is not clear yet.
As a further element of social organization, two types of sniffing contacts (naso-nasal and naso-anal) were recorded. Both types were mainly shown between the adult animals. Both adult rams show more naso-anal contacts like the other members of the herd. The older one prefers specific adult females. Females and subadults show an inverse proportion in giving and receiving naso-anal contacts.
A hierarchy in dominance was created, based on competition about individual space, because this aspect was nearest to DE WAAL´s (1989) “formal dominance”. All other studied aspects of social organization were tested accordingly. There were only few relations, because animals near and distant in rank interact with each other and were associated.
The process of integration of a new member of the herd was recorded. The observations show a decrease in regional distance between the “new” ram and the herd. Also the naso-anal show a process of integration.
All recorded aspects of social organization were tested with regard to hints of relatedness. The clearest hint was found in frequencies of neighborhood. Two matrilinear kinship groups could be found. One mother-lamb pair and a mother-lamb-yearling group. In the group with three animals hints about a sibling bond were found. Between one mother-lamb pair a physiological abnormality show relatedness.

 

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© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx