Montag, 06 März 2017 15:42

Seekühe - Allgemeines

Klasse: Säugetiere (MAMMALIA)
Unterklasse: Höhere Säugetiere (EUTHERIA)
Überordnung: AFROTHERIA
Taxon ohne Rang: PAENUNGULATA
Ordnung:

Seekühe

Sirenia • The Sea Cows • Les siréniens

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Karibische Seekuh (Trichechus manatus) im Crystal River National Wildlife Refuge. Bild: Tracy Colson, US Fish and Wildlife Service

 

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Karibische Seekuh (Trichechus manatus) im ZooParc de Beauval © ZooParc de Beauval

 

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Dugong (Dugong dugon) im Toba New Aquarium, Japan © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Dugong (Dugong dugon) im Toba New Aquarium, Japan © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Karibische Seekühe (Trichechus manatus) im ZooParc de Beauval © ZooParc de Beauval

 

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Dugong-Schädel (Dugong dugon) in Göteborgs Naturhistoriska Museum © Gunnar Creutz. Übernommen und bearbeitet unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International-Lizenz

 

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Anlage für Karibische Seekühe im ZooParc de Beauval © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

Die Seekühe oder Sirenen sind stark ans Wasserleben angepasste, große Säugetiere, die sich nicht freiwillig ans Trockene begeben und sich ausschließlich von Wasserpflanzen ernähren.

Artenspektrum und innere Systematik

Die Ordnung der Seekühe umfasst zwei neuzeitliche Familien mit insgesamt fünf Arten, von denen eine 1768 ausgerottet wurde [2; 3; 6; 9]:

Rundschwanzseekühe oder Manatis  (Trichechidae)
•    Gattung Trichechus mit 3 Arten - in Afrika, Nord-, Mittel- und Südamerika

Gabelschwanzseekühe oder Dugongs (Dugongidae)
•    Dugong (Dugong dugon) - im Indopazifischen Raum: Afrika, Asien, Australien
•    Stellersche Seekuh (Hydrodamalis  (= Rhytina) gigas) † - ehemald im Nordpazifik

Die vier noch lebenden Arten gelten alle als gefährdet (Rote Liste: VULNERABLE), zwei Populationen des Dugongs als vom Aussterben bedroht (CRITICALLY ENDANGERED). Beim Westafrikanischen Manati (Trichechus senegalensis) ist der Populationstrend unbekannt, bei allen anderen nehmen die Bestände ab [1].

Körperbau und Körperfunktionen

Seekühe sind massige, walzenförmig gebaute Wassertiere, mit (beim Erwachsenen) nackter, runzeliger Haut und dicker subkutaner Fettschicht. Tiere der heute noch lebenden Arten erreichen eine Gesamtlänge von bis zu vier Metern und ein Gewicht bis zu 680 kg. Ihre Vordergliedmaßen und ihr Schwanz sind zu Flossen umgebaut, ihre Hintergliedmaßen sind zurückgebildet. Die Schnauze ist mit dicken Borsten versehen. Gebiss und Zahnwechsel sind ähnlich wie bei den Rüsseltieren, ferner ist der Kiefer stellenweise mit hornigen Reibeplatten besetzt. Die Nasenlöcher sind verschließbar, Ohrmuscheln fehlen. Die Kreuzwirbel sind nicht zu einem Kreuzbein verwachsen und, abweichend von den meisten anderen Säugetieren, sind bei einzelnen Arten nur sechs Halswirbel vorhanden. Der Magen ist vielkammrig, der Darm lang. Die Weibchen haben zwei brustständige Zitzen und eine zweihörnige Gebärmutter, bei den Männchen sind die Hoden bauchständig und der Penis ist rückziehbar.

Seekühe sind sozial lebende Tiere, die in seichten Küstengewässern und Flussmündungen ihre Nahrung, ausschliesslich Wasserpflanzen, suchen [2; 3; 7; 9].

Verbreitung

Subtropisches Nodamerika, Mittel- und tropisches Südamerika, Westafrika, Subtropische und tropische Teile des Indischen und Westpazifischen Ozeans, die ausgerottete Stellersche Seekuh lebte in den kalten Gewässern der Beringsee.

Haltung im Zoo

In europäischen Zoos wird gegenwärtig nur die Karibische Seekuh gehalten. Bis in die 1970er Jahre gab es auch einzelne Vertreter der beiden andern Manati-Arten [8]. Einige wenige Dugongs sind in Zoos bzw. Aquarien Australiens, Südost- und Ostasiens zu sehen.

Taxonomie und Nomenklatur

1945 fasste der amerikanische Zoologe und Palaeontologe G.G. SIMPSON auf der Grundlage morphologischer Merkmale die Seekühe mit den Rüsseltieren und Schliefern zur Überordnung Paenungulata („Fast-Huftiere“) zusammen. 1997 wurde aufgrund molekulargenetischer Untersuchungen die neue, morphologisch sehr heterogene Überordnung Afrotheria geschaffen, die neben den Paenungulaten auch die Röhrenzähner (Tubulidentata), die Tenrekartigen (Afrosoricida) und die Rüsselspringer (Macroscelidea) umfasst. Da die enge phylogenetische Verwandtschaft der Seekühe, Elefanten und Schliefer durch genetische Untersuchungen weitgehend bestätigt worden ist, wird "Paenungulata" heute als "Taxon ohne Rang" innerhalb der Afrotheria angesehen. Zu den Paenungulata gehören auch  die den Seekühen ähnlichen Desmostylia, die im Oligozän und Miozän, also vor etwa 5-30 Millionen Jahren, an der Nordpazifiküste lebten [4; 5].

D EX 650

 

 

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Stellersche Seekuh (Hydrodamalis gigas). Bild aus ELLIOTT, H. W. (1886): Our Arctic Province : Alaska and the Seal Islands; New York, Verlag C. Scribner's Sons.

 

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Steller 1742 bei der Untersuchung eines Borkentiers - Bild aus GOLDER / MOHR

 

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Skelette von Steller-Seekuh und Manati im Zoologischen Museum von St. Petersburg - Bild E. P. Tratz

 

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Letzte Vorkommen des Borkentiers (Hydrodamalis (=Rhytina) gigas) im 18. Jahrhundert: Bering- und Medny-Insel

 

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Auszug aus G. W. Stellers Originalbeschreibung der Stellerschen Seekuh

 

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Entdeckung und Ausrottung der Steller-Seekuh

Die auch Borkentier genannte Stellersche Seekuh (Hydrodamalis (= Rhytina) gigas) wurde schon kurz nach ihrer Entdeckung im Jahr 1741 ausgerottet. Im Gegensatz zu den anderen rezenten Seekuharten war das Borkentier an die Kälte angepasst. Es lebte auf den Kamtschatka vorgelagerten Komondorski-Inseln, auf denen die schiffbrüchige, skorbutkranke Mannschaft des Kapitäns Vitus BERING überwintern musste, als ihr Schiff dort 1741 strandete. Zur Besatzung gehörte als Schiffsarzt der Deutsche Georg Wilhelm STELLER aus (Bad) Windsheim in Mittelfranken, dem wir die erste Beschreibung des Borkentiers verdanken [10].

Der von den Kamtschadalen für das Borkentier benutzte Name war "Kapustnik", was Steller mit "Krautemser", d.h. Kohlfresser übersetzte, wobei sich "Kohl" auf eine "Meerkohl" genannte breitblättrige Meeralge bezog. STELLER vermaß ein erlegtes weibliches Tier, das ein Gewicht von etwa 4000 kg hatte. Die Gesamtlänge von der Nasen- bis zur Schwanzflossenspitze betrug 752 cm, der grösste Umfang 620 cm. Der Darm war 154 Meter lang, also etwa 20x so lang wie das Tier. Aus zeitgenössischen Darstellungen weiß man, wie das Tier ausgesehen hat. Museumsexemplare sind nur wenige erhalten. So besitzen die Museen von Moskau und St. Petersburg Skelette und andere Körperteile, das Zoologische Museum in Hamburg einen Schädel und Hautstücke. Diese Hautstücke gelangten ursprünglich ins Museum, weil sie voll von Cyamus rhytinae einem parasitischen Hautkrebs waren. Dieser Krebs modellierte die Haut der Seekühe derart, dass sie der rauen Borke eines Baumes ähnelte. Daher der Name "Borkentier".

Über das Liebesleben der Borkentiere schrieb STELLER: "Im Frühjahr begatten sie sich wie Menschen; und besonders gegen Abend wenn das Meer stille ist. Ehe sie zusammenkommen, gehen viele Liebesspiele vorher. Das Weibchen schwimmt sachte hin und her, das Männchen aber folget. Dasselbe betrügt das Weibchen durch so viele Wendungen und krumme Wege, bis es endlich selbst überdrüßig wird und sich gleichsam ermüdet und gezwungen auf den Rücken leget: worauf das Männchen wüthend auf dasselbe zukömmt, seiner Geilheit genüge thut, und beyde einander umfassen."

STELLER beschrieb auch, wie Borkentiere gejagt wurden: "Diese gefräßigen Thiere fressen ohne Unterlaß, und haben für großer Gierigkeit den Kopf beständig unter Wasser, ohne sich um ihr Leben oder ihre Sicherheit zu bekümmern. Daher kann einer auf dem Kahne, so gar nacket, mitten unter sie hineinfahren und sicher eines aus der Herde auslesen und mit dem Haken werfen." Um die harpunierte Seekuh an Land zu bekommen, war eine Seilmannschaft von 30 nötig, die "das Thier hielten, und unter einem ängstlichen Widerstand desselben mit großer Mühe an das Ufer zogen. Diejenigen aber, welche in dem Boote waren, befestigten sich an ein ander Seil, und matteten das Thier mit beständigen Hieben und Stößen dergestalt ab, dass es endlich, da es stille und müde wurde, mit Dolchen, Messern und anderem Gewehre todtgemacht und an Land gezogen wurde. Einige schnitten aus dem noch lebenden Thiere ganz große Stücke heraus." Die Beschreibung der Grausamkeiten geht noch weiter, aber wir wollen es dabei bewenden lassen.

1741 gab es wohl einen Bestand von 1'500-2'000 Borkentieren, die sich auf etwa 15 Weidegründe rings um Bering- und Kupferinsel verteilten. Bereits um 1754 waren die Borkentiere um die Kupferinsel ausgerottet, und das wahrscheinlich letzte Tier wurde 1768 bei der Beringinsel getötet [3].

Literatur und Internetquellen

  1. IUCN Red List of Threatened Species. Version 2016-3. Downloaded on 12 January 2017.
  2. KURT, F. & WENDT, H. (1970). In GRZIMEKs TIERLEBEN.
  3. MOHR, E. (1957)
  4. SIMPSON, G. G. (1945)
  5. SPRINGER, M. S., CLEVEN, G. C. et al. (1997)
  6. WILSON, D. E. & REEDER, D. M. (2005)
  7. ZISWILER, V. (1976)
  8. ZOOTIERLISTE
  9. WILSON, D. E. et al. eds. (2009-2019) 
  10. STELLER, G. W. (1753). Georg Wilhelm Stellers ausführliche Beschreibung sonderbarer Meerthieren mit Erläuterungen und nöthigen Kupfern versehen. Verlag Hans Christian Kümmel, Halle.

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Donnerstag, 14 Juni 2018 07:05

HÜTTNER, T. (2012)

Erstellung eines Ethogramms für Antillen-Manatis (Trichechus manatus manatus) im Tiergarten Nürnberg.

Compiling of an ethogram for Antillean Manatees (Trichechus manatus manatus) at “Tiergarten Nürnberg”

Bachelorarbeit

45 Seiten.

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Leitung: Prof. Dr. Andreas Feigenspan (Lehrstuhl für Tierphysiologie), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; Tiergarten Nürnberg, Dr. Lorenzo von Fersen (Kurator für Forschung und Artenschutz)
Tiergarten Nürnberg

Zusammenfassung:

Mit der Umsiedelung der Manati-Gruppe in ihr neues Gehege, das Manatihaus, hat sich in Nürnberg die Gelegenheit ergeben, eine ausführliche Verhaltensbeschreibung über die Seekühe zu erfassen. Hierzu wurde durch eine fortlaufende Beobachtungsphase über mehrere Wochen ein vollständiger Verhaltenskatalog, ein sog. Ethogramm erstellt. Das fertige Ethogramm umfasst letztendlich 33 verschiedene Verhaltensweisen, die in vier Hauptkategorien (AKTIV, PASSIV, NAHRUNGS-AUFNAHME und SOZIALVERHATEN) unterteilt sind, inklusive der jeweiligen Verhaltensbeschreibung. In der Auswertung zeigte sich, dass zum einen zwischen den einzelnen Tieren Unterschiede in der allgemeinen Aktivität und der Atemfrequenz bestehen. So hängt die Atemfrequenz jeweils mit der Größe und der Aktivität des analysierten Tieres zusammen. In der Verteilung einzelner Verhaltensweisen traten ebenfalls Unterschiede auf. Bestimmte Verhaltensweisen zeigte vermehrt nur ein Individuum, gleichzeitig waren andere Verhaltensmuster geschlechtstypisch verteilt. Zum anderen konnte ein umfassendes Bild der Sozialstruktur erstellt wer-den, mit dem Ergebnis, dass soziale Interaktionen weitestgehend von den Manati-Bullen ausgehen und an die weiblichen Tiere gerichtet sind. Insgesamt ist durch die Studie eine umfangreiche Bestandsaufnahme des Verhaltens der Manatis in Nürnberg gelungen. Dabei ist das aufgenommene Verhalten in hohem Maße mit bereits in der Natur und anderen Einrichtungen beobachtetem Verhalten vergleichbar.

Abstract:

The relocation of three Antillean-manatees of Zoo Nuremberg into their new home, the so-called “Manati-Haus” made it possible to start a detailed behavioral observation of those manatees. During 8 weeks of daily observations a detailed ethogram comprising 33 behavioral patterns was established. These patterns were assigned to functional categories such as: active, passive, feeding and social behavior.
A quantitative analysis of the results showed individual differences regarding general activity and breathing frequency. Thus the breathing frequency seems to depend on the size and activity of the animal. Also the distribution of single behavioral patterns differs in regard to the individuals. In this context it was seen that some behavioral patterns have been recorded only in some animals and not in the other ones. Some patterns seem to be sex dependent. Furthermore it was possible to perform a comprehensive analysis of the social structure and to draw a sociogram. Most of the observed social contacts were originated from a male towards a female individual. To summarize: the behavioural categories observed in this study are comparable to the recorded behavior of manatees in other locations.

 

hüttner-biblio

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Donnerstag, 14 Juni 2018 08:31

Karibische Seekuh

Überordnung: AFROTHERIA
Taxon ohne Rang: PAENUNGULATA
Ordnung: Seekühe (SIRENIA)
Familie: Manatis (Trichechidae)

Red list status Vulnerable

EEPNagelmanati, Karibische Seekuh

Trichechus manatus • The West Indian Manatee • Le lamantin des Caraïbes

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Karibische Seekuh (Trichechus manatus) im Tiergarten Nürnber @ TG Nürnberg (Pressefoto)

 

 

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Approximative Verbreitung der Karibischen Seekuh (Trichechus manatus)

 

 

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Karibische Seekuh (Trichechus manatus) im ZooParc de Beauval @ Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

 

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Schwanzpartie einer Karibischen Seekuh (Trichechus manatus) im Acquario die Genova @ Klaus Rudloff, Berlin

 

 

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Karibische Seekuh (Trichechus manatus) mit Jungtier im Odense Zoo @ Odense Zoo

 

 

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Karibische Seekuh (Trichechus manatus) im Tiergarten Nürnberg © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

 

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Nagelmanatis (Trichechus manatus) im Tiergarten Nürnberg @ Tiergarten Nürnberg (Pressefoto)

 

 

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Manati-Jungtier "Herbert" (Trichechus manatus) mit Tierpfleger im Tiergarten Nürnberg @ Tiergarten Nürnberg (Pressefoto)

 

 

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Karibische Seekuh (Trichechus manatus) im Tiergarten Nürnber @ TG Nürnberg (Péressefoto)

 

 

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Unterwasser-Einblick in die Manati-Lagune im ZooParc de Beauval @ Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

 

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Karibische Seekuh (Trichechus manatus) im Tiergarten Nürnberg @ Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

 

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Unterwassereinblick in die Manati-Lagune des Tiergartens Nürnberg @ Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

 

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Schädel einer Karibischen Seekuh (Trichechus manatus) © University of Wyoming, veröffentlicht unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-Lizenz

 

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Skelett einer Karibischen Seekuh (Trichechus manatus) im Zoo Breslau © Klaus Rudloff, Berlin

 

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Das Nagelmanati ist der einzige Vertreter der Seekühe, der in Europa gehalten wird. Als stark ans Wasserleben angepasste Art, die sich im Gegensatz zu den Robben oder Delfinen nicht von Fischen, sondern ausschließlich von Pflanzenmaterial ernährt, ist es zoopädagogisch interessant und als gefährdete Art gibt es bei guter Präsentation einen ausgezeichneten Botschafter für den Meeres-, Natur und Artenschutz in seiner Heimatregion ab.

Körperbau und Körperfunktionen

Nagelmanatis oder Karibische Seekühe erreichen eine Gesamtlänge von 250-390(-450) cm und dementsprechend ein Gewicht von 300-800 (-1'620 ?) kg. Ihr Kopf ist klein und geht ohne erkennbaren Hals in den walzenförmigen Körper über. Die Augen sind kein, die verschließbaren Nasenlöcher endständig und sich nach oben öffnend, die Oberlippe ist breit und beweglich. Sie trägt Borsten und dient als Greiforgan. Ohrmuscheln sind nicht vorhanden. Die Vordergliedmaßen sind zu Flossen umgewandelt, die noch rudimentäre Fingernägel tragen (daher der Name "Nagelmanati"). Die Hintergliedmaßen sind wie bei den Walen bis auf geringe Reste des Beckens verschwunden. Der Schwanz ist als runde Floße ausgestaltet [4; 7].

Verbreitung

Karibik, Nord- Mittel- und Südamerika von Florida (und saisonal weiter nördlich bis auf die Breite von New York) bis Brasilien: Bahamas, Belize, Brasilien, Cayman Islands, Costa Rica, Dominikan. Republik, Fanzösisch Guiana, Guatemala, Guyana, Honduras, Jamaika, Jungferninseln (Britische und amerikanische), Kolumbien, Kuba, Mexiko, Niederländische Antillen (Bonaire, Curaçao), Nikaragua, Panama, Puerto Rico, Surinam, Trinidad und Tobago, Venezuela, Vereinigte Staaten.

Regional ausgestorben auf Anguilla, Antigua und Barbuda, Aruba, Barbados, Dominica, Grenada, Guadeloupe, Martinique, Montserrat, Saint Barthélemy, Saint Kitts und Nevis, Saint Lucia, Saint Martin, Saint Vincent und Grenadinen, sowie vermutlich Turks und Caicos [1].

Lebensraum und Lebensweise

Karibische Seekühe besiedeln flache Meeresküsten, Lagunen, Ästuare und stehende oder langsam fließende Süßgewässer, die eine ausreichende Nahrungsgrundlage bieten. Sie unternehmen saisonale Wanderungen. Gefressen werden Seegräser (Thalassia-, Halodule-, Halophila-, Syringodium-Arten), Süßwasserpflanzen, Mangrovenblätter und vom Wasser aus erreichbare Ufervegetation. Die Tiere werden mit (3-)4-5 Jahren geschlechtsreif. Nach einer Tragzeit von 11-14 Monaten wird ein einzelnes Junges geboren, sehr selten Zwillinge. Die Jungtiere haben ein Geburtsgewicht von 18-25 kg und eine Länge von etwa 120 cm. Sie werden nach 1-2 Jahren entwöhnt. Die Geburtsintervalle betragen 2.5 Jahre [1; 4; 7].

Gefährdung und Schutz

Die Karibische Seekuh gilt seit 1982, letztmals überprüft 2008, als gefährdete Tierart (Rote Liste: VULNERABLE), weil der Bestand an erwachsenen Tieren unter 10'000 Individuen liegt und abnimmt. Die beiden gegenwärtig anerkannten Unterarten werden jede für sich als stark gefährdet (ENDANGERED) taxiert. In Teilen ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets ist die Art bereits ausgestorben [1].

Der internationale Handel ist durch CITES-Anhang I eingeschränkt. Ferner fallen die zwischen Honduras und Panama zirkulierenden Populationen unter die Anhänge I und II des Bonner Übereinkommens über wandernde Tierarten.

Zoogestütztes Artenschutzprojekt (Beispiel):

  • Die gegenwärtige Verbreitung der Manatis entlang der brasilianischen Küste ist lückenhaft, was bedeutet, dass nur noch kleine, isolierte Populationen existieren.In Zusammen mit der Universität von Rio Grande und dem Zoo Odense unterstützt YAQU PACHA, eine am Tiergarten Nürnberg angesiedelte und auch von verschiedenen anderen Zoos (Bremerhaven, Aquazoo Düsseldorf, Heidelberg, Planète sauvage) unterstützte Organisation, ein Forschungsprojekt, in dem mittels Isotopenanalysen einzelne Populationen sowie auch Habitat- und Nahrungspräferenzen definiert werden. Die Ergebnisse dieser Studien sollen dazu dienen, die relevanten Eigenschaften der Lebensräume dieser Tiere besser zu verstehen um sie gezielt schützen zu können.

Bedeutung für den Menschen

Manatis sind durch nationale Gesetzgebungen geschützt, werden aber im karibisch-südamerikanischen Raum immer noch - aber mit abnehmender Tendenz - zur Fleischgewinnung gejagt [25].

Haltung

Seekühe wurden früher als träge angesehen und in Becken gehalten, in denen sie kaum schwimmen konnten, was ihnen nicht unbedingt gut bekam. Die Welterstzucht, von bereits trächtig eingefangenen Tieren einmal abgesehen, gelang daher erst 1975 im Miami Seaquarium. Heute erfolgt die Haltung in der Regel in geräumigen Becken, oft vergesellschaftet mit Fischen und Wasserschildkröten, eventuell mit wasserlebenden Vögeln [5]. Karibische Seekühe sind sehr langlebig. Ein im Miami Seaquarium geborenes Tier starb im Alter von 56 Jahren im Parker Manatee Aquarium in Bradenton FL [6].

Haltung in europäischen Zoos: Das Nagelmanati ist seit über 40 Jahren die einzige in Europa gezeigte Seekuhart. Es wird in rund 10 Zoos gehalten, darunter der Tiergarten Nürnberg. Die europäische Erstzucht gelang 1977 im Artis-Zoo Amsterdam, die Erstzucht in Deutschland 1981 im Tiergarten Nürnberg. Für Details siehe Zootierliste.

Seit 2008 gibt es ein Europäisches Erhaltungszuchtprogramm (EEP), das vom Tiergarten Nürnberg koordiniert wird. Bis 2019 wurden 24 Kälber geboren, von denen 17 noch lebten, womit die EAZA-Population Stand November 2019 auf 36 anstieg. 2023 umfasste das Programm 59 (33.26) Exemplare in 12 Zoos (davon 2 außereuropäische). Der Bestand geht auf nur 6 Gründertiere zurück [9].

Wie Manatis gehalten werden - Beispiele:

Im Manatihaus des Tiergartens Nürnberg steht den Tieren eine Wasserfläche von ca. 350 m² und ein Wasservolumen von 700'000 l zur Verfügung. Die Wassertemperatur beträgt 26-28°C, die Lufttemperatur 24-32°C. Die Manatis sind vergesellschaftet mit Perlmutt-Buntbarschen (Geophagus brasiliensis), Schwarzen Pacus, Schwarzen Dornwelsen  und Waben-Schilderwelsen [3; 11].

Forschung im Zoo (Beispiele): Mit dem Ziel zu allgemeingültigen Richtlinien zur Haltung von Seekühen und zur Grundlagenforschung im Bereich der akustischen Kommunikation beizutragen, wurde im Tiergarten Nürnberg anhand von Verhaltensbeobachtungen und der Aufnahme von akustischer Kommunikation der Seekuh-Gruppe analysiert, ob die Tiere in der neuen Anlage angemessen gehalten werden und inwiefern Wechselwirkungen zwischen der akustischen Kommunikation, der Sozialstruktur und der circadianen Rhythmik der Tiere, auftraten [3]. Ebenfalls in Nürberg wurde ein Ethogramm der Karibischen Seekuh unter den Haltungsbedingungen der neuen Anlage erstellt [2].

Mindestanforderungen an Gehege: Für manche der Vorgaben im Säugetiergutachten 2014 des BMEL gibt es keine wissenschaftlichen Grundlagen. Seekühe sind in beliebiger sozialer Konstellation extrem verträglich und konkurrieren nicht um den Platz. Eine Abtrennung einzelner Tiere ist nur in medizinischen Notfällen nötig. Für diesen Zweck muss neben dem Hauptbecken ein abtrennbares Becken vorhanden sein. Aufgrund von Tierhaltererfahrung sind nach Ansicht der Tierschutzsachverständigen der Zoos folgende Dimensionen für das Hauptbecken ausreichend: Für bis zu 4 Tiere (anstat für 2) eine Wasserfläche von mindestens 150 m² und ein Volumen von 270 m³. Für jedes weitere erwachsene Tier sollen mindestens 25 m² mehr bereitgestellt werden. Die Wassertiefe muss im Mittel 1,8 m und zumindest teilweise bis zu 2,5 m betragen, und der tiefe Bereich muss den Tieren ausreichende Bewegungsmöglichkeiten bieten. Diese Dimensionen übertreffen jene der Vereinigten Staaten (Fläche pro Tier 14.47 m², Tiefe 1.52 m) und der Schweiz. Die Wasserqualität bedarf laufender Kontrolle, Luftqualitätsmessungen sind dagegen überflüssig. Die Möglichkeit einer getrennten Entleerung einzelner Beckenbereiche sowie eine flache Strandzone sind wünschenswert.

Die Schweizerische Tierschutzverordnung (Stand 01.06.2022) schreibt für die Haltung von 2 Seekühen ein Becken mit einer Fläche von 80 m² und einer mittleren Tiefe von 2 m vor. Für jedes weitere Tier ist die Beckenfläche um 20 m² zu erhöhen. Die Anforderungen der 2. Tierhaltungsverordnung Österreichs (Stand 2023) fordert für je 2 Paare mit je einem Jungtier drei abtrennbare, um eine Insel angeordnete Wasserareale mit zusammen einer Wasserfläche von mindestens 300 m² und Tiefen von 40 cm bis 4 m. Für jedes weitere erwachsene Tier sind 10% der Fläche zusätzlich vorzusehen.

Taxonomie und Nomenklatur

Die Art wurde 1758 von Carl von LINNÉ unter ihrem heute noch gültigen Namen beschrieben, Es werden zwei Unterarten anerkannt: die Nominatform in Mittel- und Südamerika und der Karibik sowie T. m. latirostris an der Küste Nordamerikas und Binnengewässern Floridas [7; 8].

LINNÉ stellte in der 12. Auflage seines Systema Naturae die Gattung Trichechus, zu der er  neben dem Manati auch das Walross zählte, zusammen mit Elefant, Faultier, Ameisenbär, Schuppen- und Gürteltier in die Ordnung "Brutae" (brutus = schwer, aber auch blöde). Bei manatus verwies er darauf, dass die Oberlippe mit starren Borsten besetzt sei, was ja auch für das Walross zutrifft. Dies dürfte der Grund dafür gewesen sein, die Gattung "Trichechus" zu nennen. θρίξ ("thríx") bedeutet auf Altgriechisch Haar oder Borste, ἔχειv ("échein") haben, besitzen.

Literatur und Internetquellen

  1. DEUTSCH, C.J. et al. (2008). Trichechus manatus. The IUCN Red List of Threatened Species 2008: e.T22103A9356917. http://www.iucnredlist.org/details/22103/0. Downloaded on 23 May 2018
  2. HÜTTNER, T. (2012)
  3. KAPPEL, I. (2012)
  4. MOHR, E. (1957)
  5. PUSCHMANN, W., ZSCHEILE, D., & ZSCHEILE, K. (2009)
  6. WEIGL, R. (2005)
  7. WILSON, D. E. et al. eds. (2009-2019)
  8. WILSON, D. E. & REEDER, D. M. (2005)
  9. ZOOQUARIA 106: 6-7 und 2022 EAZA Regional Collection Pland Marine Mammals
  10. LINNÉ, Carl von (1735-1768)
  11. TIERGARTEN NÜRNBERG

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© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx