Donnerstag, 14 Juni 2018 09:55

HEDIGER, H. (1973)

Bedeutung und Aufgaben der Zoologischen Gärten.

Vierteljahresschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, 118: 319-328.

Auszug:

Es kann niemals Aufgabe der Zoologischen Gärten sein, vollständige «Sammlungen» bestimmter Tiergruppen zu zeigen. Das anzustreben, müssen wir eindeutig den Museen überlassen. Selbst diesen, die nicht mit den grossen Risiken lebender Tiere zu rechnen haben, kann das nur ausnahmsweise gelingen. Die Aufgabe der Zoologischen Gärten liegt vielmehr darin, aus der verwirrenden Fülle des Tierreiches Vertreter einiger repräsenta-tiver Gruppen auszuwählen und sie in genügender Individuen-zahl in möglichst naturnahen Territorien zu halten, und zwar so, dass diese Natur-Ausschnitte nicht nur dem Tier alles bie-ten, was es zur Lebensentfaltung braucht, sondern dass die Ge-samtheit dieser Biotope auch dem betrachtenden Menschen als Erholungsraum dient.

Im Zürcher Zoo stellt das Kleine Affenhaus ein bescheidenes Beispiel dieser Bemühungen dar. Anstelle der vielen Einzelkäfige in der Grösse von Telefonkabinen wurden wenige, dafür grössere Räume eingebaut. Einzelne Segmente wurden sogar für Pflanzen geopfert; doch ist das nur ein erster Schritt in der Richtung biologischer Tierhaltung - und es war kein leichter Schritt. Pflanzen sind im Zoo übrigens zuverlässige Kontrolleu-re des biologischen Mikroklimas.

In der Tat haben die Zoologischen Gärten, ich meine Institutionen, welche diese Bezeichnung für sich überhaupt in Anspruch nehmen dürfen (nicht jede Anhäufung von Tieren ist ein Zoo), in dieser Beziehung wesentliche Fortschritte gemacht. Aus kerkerartigen, eisenstangenstarrenden Käfigen für neuroti-sierte Einzeltiere sind künstliche, aber naturnahe Territorien für gesunde Tierfamilien oder -herden geworden, denen nichts Wesentliches fehlt, denen sogar noch etwas Zusätzliches geboten wird, nämlich Schutz vor Hunger und Durst, Schutz vor ihren Feinden, vor Parasiten und Krankheiten, Schutz auch vor den Elementen wie Überschwemmungen, extremer Trockenheit, Wald- und Steppenbränden usw. Der heutige Zoobesucher sieht nicht mehr bedauernswerte Tiere, welche der Museumsreife entgegenvegetieren, sondern - ich wage diese Bezeichnung - zufriedene, glückliche soziale Einheiten, die sich nicht mehr als Gefangene, sondern nachweisbar als Grundbesitzer, d. h. als Territoriumsbesitzer fühlen, wie ich das an anderer Stelle ausführlich dargetan habe.

Man kann als Zoodirektor - auch das wage ich heute zu behaupten - ein gutes Gewissen haben nicht nur gegenüber dem Tier, sondern auch gegenüber dem Menschen. Denn auch dieser, besonders der Grossstadt-Mensch, braucht heute den Zoo – er ist zu einem notwendigen Teil des Grossstadt-Biotopes geworden und steht im eigentlichen Sinne im Dienste der Psychohygiene des modernen Menschen.

Wenn ich heute versuchen soll, die Aufgaben der Zoologischen Gärten zu umschreiben, so bleibt es m. E. im wesentlichen bei dem, was ich schon oft ausgeführt habe:

  1. Ein Zoo muss der Bevölkerung als Erholungsraum dienen. Er bildet einen psychohygienisch höchst wichtigen Bestandteil des menschlichen Grossstadt-Biotopes.
  2. Er hat die volkstümliche Belehrung des breiten Publikums zu fördern. Der europäische Fischotter wird nur deswegen ausgerottet, weil Generationen von uns eingehämmert worden ist, der Fischotter sei der schlimmste Feind der Fischerei, was nachweislich falsch ist. Ebenso falsch war z. B. die sogar von angeblichen Experten verbreitete Meinung, der Fuchs spiele für die Dezimierung von Mäusen und Ratten keine Rolle oder die millionenweise Vernichtung von Obstbäumen sei für die insektenvertilgenden Singvögel belanglos.
  3. Ein Zoo hat seinen Tierbestand auch wissenschaftlich auszuwerten und sich an der Forschung aktiv zu beteiligen, und zwar nicht nur hinsichtlich der Rezepte für die optimale Haltung und Züchtung bestimmter bevorzugter Arten, sondern auch im Hinblick auf die weitreichenden Folgen der «Umkehr des Lebensraumes», d. h. der noch viel zu wenig beachteten Tatsache, dass die Wildtiere aus ihren ursprünglichen Biotopen durch die fortschreitende Technik immer mehr verdrängt werden, in immer grösse-rer Zahl aber in den Metropolen in Neo-Biotopen und Parkarealen gehalten werden.
  4. Der Zoo muss sich in den Dienst des Naturschutzes stellen, u. a. auch durch Asylgewährung an bedrohte Tierarten und deren Wiedereinbürgerung.

Mit anderen Worten, der Zoo - jeder Zoo - muss sich nach den Forderungen der Tiergarten-Biologie ausrichten. Diese liefert einerseits die wissenschaftlichen Grundlagen für die optimale und sinngemässe Haltung von Wildtieren in menschlicher Ob-hut und erforscht andererseits die besonderen biologischen Gesetzmässigkeiten, die sich aus dieser TierhaItung für Tier und Mensch ergeben.

Ich glaube, in der Erfüllung dieser grossen, doppelten Aufgabe liegt heute - und vielleicht auch morgen - die Bedeutung der Zoologischen Gärten.

 

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© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx