Donnerstag, 14 Juni 2018 16:28

KILIAN, A. (2004)

Funktionelle cerebrale Asymmetrien visueller Prozesse und numerische Fähigkeiten beim Großen Tümmler (Tursiops truncatus).

Rer.nat. Dissertation

98 Seiten, Abbildungen und Grafiken

Fakultät für Psychologie. Referent: Prof. Dr. Onur Güntürkü, Co-Referent: PD Dr. Guido Dehnhardt
Ruhr-Universität Bochum

Voller Text


Zusammenfassung:

Bereits vor etwa 60 Millionen Jahren trennte sich die phylogenetische Entwicklung der Cetacea (Wale und Delfine) von der landlebender Säugetiere. Die Anpassung an Den aquatischen Lebensraum hatte viele anatomische und physiologische Veränderungen zurFolge, die auch die Struktur des Gehirns betrafen. Daraus resultieren möglicherweise auch Veränderungen bei funktionellen cerebralen Prozessen, die sich in kontrolliertenVerhaltenstests erfassen lassen. Vieles über die kognitiven Leistungen von Delfinen, undhier insbesondere die des Großen Tümmler s, wurde bereits dokumentiert. Einige Aspekte, die bisher unbeachtet blieben, wurden in dieser Arbeit untersucht.

Numerische Fähigkeiten
Viele Säuger und Vögel besitzen basale numerische Fähigkeiten, wie die Unterscheidung von Mengen. Für einige Tierarten konnte ein komplexeres numerisches Verständnis nachgewiesen werden – das Erstellen von ordinalen Beziehungen zwischen Anzahlen sowie der Symbolgebrauch (Etikettierung).

In einem 2-Wahl-Paradigma mit visuellen Reizen, die sich in ihrer Elementanzahl unterschieden, wurde die numerische Kompetenz eines Großen Tümmlers untersucht. Zu-nächst beeinflussten einige nicht-numerische Reizmerkmale das Entscheidungsverhalten des Tieres. Nach sukzessiver Kontrolle dieser mit der Anzahl kovariierenden Merkmaleunterschied der Delfin die Reize an Hand des numerischen Merkmals. Daraufhin zeigte er einen spontanen Transfer auf neue Anzahlpaare, auch solche außerhalb des bekannten Testbereichs. Dieses Erstellen von ordinalen Beziehungen weist auf eine mentale Repräsentation dieser Kategorien hin und damit auf das Vorhandensein einer mentalen Anzahlskala.

Das Verfügen über diese abstrakte numerische Fähigkeit legt nahe, dass Delfine sie bei der Erfassung ihrer Umwelt einsetzen. Gemeinsam mit Befunden an anderen Vertebraten ist dieses Ergebnis ein weiterer Hinweis darauf, dass die evolutionären Ursprünge numerischen Wissens weitvor der Phylogenese des Menschen zu finden sind.

Funktionelle cerebrale Asymmetrien visueller Prozesse
In den letzten Jahrzehnten wurde eine Vielzahl funktioneller cerebraler Asymmetrien bei verschiedenen Arten der Vertebraten dokumentiert. Bisher beschriebene Verhaltens-Asymmetrien bei Delfinen lassen auch in dieser Tiergruppe eine Lateralisation von informationsverarbeitenden Prozessen – insbesondere im visuellen Bereich – vermuten.

Zwei Studien zur Überprüfung auf funktionelle cerebrale Asymmetrien visueller Prozesse beim Großen Tümmler wurden durchgeführt. Hierbei wurden die jeweiligen Reize den Delfinen monocular dargeboten – d.h., ihnenwurde jeweils ein Auge kurzzeitig abgedeckt. Auf Grund der vollständigen Kreuzung der optischen Nerven am Chiasma erreicht die visuelle Information eines Auges primär die contralaterale Hemisphäre.

Eine Studie überprüfte auf Lateralisation bei der Unterscheidung numerischer Reize. Der Delfin erreichte mit dem rechten Auge signifikant bessere Leistungen als mit dem Linken Auge, was auf einen Vorteil der linken Hemisphäre bei dieser Aufgabe hinweist.

Beim Menschen resultiert die nonverbale Erfassung numerischer Reize in einem Vorteil der rechten Hemisphäre. Der Delfin weist somit eine davon abweichende Lateralisationsrichtung auf.

Eine weitere Studie untersuchte mögliche Lateralisationen bei der visuell-räumlichen Orientierung. Nach binocularem Erlernen eines sequentiellen 3-Wahl-Paradigmas, bei dem die Delfine markierte Positionen im Becken nacheinander besuchten, wurde die Aufgabe den Tieren monocular präsentiert. Beide Delfine zeigten rechts sehend signifikant bessere Leistungen als links sehend. Dies zeigt einen Vorteil der linken Hemisphäre bei der visuell-räumlichen Orientierung auf – ein bemerkenswerter Gegensatz zur typischerweise rechts-hemisphärischen Dominanz der Säuger und Vögel bei der räumlichen Orientierung. In jüngster Zeit wurde auch für Mustererkennung ein linkshemisphä rischer Vorteil bei Delfinen dokumentiert. Zusammen mit den hier präsentierten Ergebnissen wurden damit für drei unterschiedliche visuelle Prozesse funktionelle cerebrale Asymmetrien beschrieben, wobei immer die linke Hemisphäre dominiert. Dieses Lateralisationsmuster der Delfine steht dem komplementären Muster visueller Lateralisationen der Vertebraten gegenüber. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf drastische Veränderungen der funktionelle n Gehirnstrukturen bei Delfinen.

 

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