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REESE, L. (2020)

Zum Flugunfähigmachen von Zoovögeln unter besonderer Berücksichtigung des Tierwohlaspekts am Beispiel des Rosaflamingos.

Deflighting zoo birds with particular regard to animal welfare by the example of greater flamingos.

83 Seiten. Dissertation FU Berlin.

https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/28474
http://dx.doi.org/10.17169/refubium-28223
urn:nbn:de:kobv:188-refubium-28474-5

Volltext: https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/28474/Dissertation_Lukas_Reese_online.pdf?sequence=3&isAllowed=y

Zusammenfassung:

Das Flugunfähigmachen von Zoovögeln stellt bis heute weltweit eine gängige Praxis dar, um Flamingos, Pelikane und einige weitere Vögel, die eine starke Bindung an den Boden oder an Wasser haben, in Freianlagen zeigen zu können. In Deutschland ist das Kupieren - also die Amputation der Flügelspitze - durch § 6 des deutschen Tierschutzgesetzes verboten – durch die Langlebigkeit vieler Vogelarten leben jedoch noch sehr viele so flugunfähig gemachte Individuen in deutschen Zoos. Nicht eindeutig geregelt ist das reversible Flugunfähigmachen, also das Beschneiden der Schwungfedern, das mit jeder Mauser wiederholt werden muss. Dies stellt die aktuell gängige Praxis in den meisten deutschen Zoos dar. Diese Haltungsform gerät aber zunehmend in die Kritik, da die Vereinbarkeit des Flugunfähigmachens mit dem Tierwohl der betroffenen Vogelarten von einigen Zoorepräsentanten, aber auch Politikern und Tierrechtsorganisationen in Zweifel gezogen wird. In der wissenschaftlichen Literatur ist die Fragestellung nach dem Tierwohl im Zusammenhang mit dem Flugunfähigmachen bisher nicht bearbeitet worden. Es finden sich zwar zahlreiche Argumente für und wider dieser Haltungsform – diese befassen sich jedoch entweder mit anderen Aspekten (z.B. der Praktikabilität dieser Haltung vor dem Hintergrund des Artenschutzes oder der reduzierten Kopulationsfähigkeit flugunfähig gemachter Tiere) oder aber sie beruhen auf Vermutungen hinsichtlich des Tierwohls - teilweise auf Grundlage verhaltensbiologischer Daten, teilweise aber auch schlicht aus vermenschlichenden Gedankengängen. Auch beziehen sich viele der diesbezüglich getätigten Aussagen generalisiert auf die Klasse der Vögel ohne dabei der Vielfalt der Arten und deren spezieseigenen Bedürfnissen Rechnung zu zollen. Belastbare, wissenschaftliche Daten existierten bisher nicht. Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit erhobenen Daten wurden an Rosaflamingos (Phoenicopterus roseus) in insgesamt zwölf deutschen zoologischen Einrichtungen evaluiert und basieren auf der Kombination von Federcorticosteronmessungen mit Verhaltensbeobachtungen. Dabei wurde von insgesamt 152 Rosaflamingos unterschiedlichen Flugfähigkeitsstatus (irreversibel flugunfähig, reversibel flugunfähig, flugfähig) die Federcorticosteronkonzentration bestimmt und in einem gemischten linearen Regressionsmodell ausgewertet. Im Vorfeld wurde jede der teilnehmenden Gruppen über drei konsekutive Tage hinweg mittels Scan Sampling beobachtet, um potentiell anders geartete Stressoren, die das Federcorticosteron beeinflussen könnten, auszumachen. Zwischen den drei Gruppen unterschiedlicher Flugfähigkeitsstatus wurden keine signifikanten Unterschiede in der Federcorticosteronkonzentration festgestellt. Auch die Faktoren Geschlecht, Gruppengröße, Vergesellschaftung mit anderen Vogelarten sowie der Reproduktionsstatus zeigten keinen signifikanten Einfluss. Als maßgeblicher Faktor konnte der Einfluss der Einrichtung selbst (also die individuellen Haltungsbedingungen jedes Zoos) herausgestellt werden, der mittels Varianzanalyse mit 53,82 % als wichtigste Einflussgröße bestimmt wurde. Die Daten aus der Verhaltensbeobachtung wurden qualitativ hinzugezogen und konnten die Corticosteron-Messungen stützen. Die Ergebnisse der Studie geben erste Hinweise auf das Wohlbefinden von flugunfähig gemachten Rosaflamingos. Die erhobenen Daten lassen kein erhebliches Leiden durch das Unvermögen zu fliegen vermuten. Wie bereits erwähnt, handelt es sich um die erste Studie dieser Art, so dass diese Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren sind. Zu weiterer Forschung mit einem optimierten Modell an weiteren Flamingopopulationen sowie anderen von der Haltungsform betroffenen Vogelspezies soll daher ermutigt werden.

Abstract:

Deflighting of zoo birds is still a common practice worldwide in flamingos, pelicans and other birds that have a strong binding to water or the ground to keep them in open display. In Germany, pinioning is prohibited by the animal welfare law §6 but due to the longevity of many avian species there are still lots of pinioned individuals in German zoos. The legal status of reversible deflighting methods, i.e. feather clipping, which has to be repeated with every molt, is not clearly regulated. Therefore, it is the common practice in German zoos today. Nevertheless, this form of presentation is increasingly coming into criticism as some zoo represantatives, politicians and animal right organisations doubt the compatibility of deflighting with the animals‘ welfare. However, there are no approaches to evaluate this question in scientific literature. Although many arguments in favor or against this practice can be found, these only deal with other aspects such as the practicability of this form of presentation in the light of conservational issues or the reduced copulation success of deflighted birds. Those, that actually refer to animal welfare base on presumptions referring to biobehavioural knowledge or even humanisation. Additionally, many of those statements refer to ‚birds‘ in general not considering the huge diversity of the avian class and consecutively, the different needs of the many different species. Until today, there are no scientifically valid data regarding this question. In this work, greater flamingos (Phoenicopterus roseus) from twelve German zoological institutions were assessed based on a combination of feather corticosterone measurement and behavioural observations. Feather corticosterone was measured in 152 greater flamingos of different flight status (irreversibly deflighted, reversibly deflighted, airworthy) and evaluated in a mixed linear regression model. All flamingo populations were observed in advance via scan sampling for three consecutive days to detect potential stressors affecting feather corticosterone. No significant differences in feather corticosterone were found between the animals of different flight status. The variables sex, group size, socialisation with other species and breeding status did not have a significant impact on feather corticosterone either. The most important influence showed to be the institution itself (i.e. the housing conditions) which could be numbered as 53.82 % by variance analysis. The findings of the behavioural observations were analysed qualitatively and supported the corticosterone measurements. The results of this study give a first impression of greater flamingo welfare under flight restraint. The evaluated data do not support the presumption of considerable suffering by the inability to fly. As mentioned before, this is the first study of its kind which is why it should be interpreted with caution. It is meant to encourage to optimize the model and apply it to other flamingo populations as well as to other birds species affected by flight restraint.

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