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RENTERÍA-SOLÍS, Z. (2015)

Vorkommenden Krankheitsfälle bei freilebenden Waschbären (Procyon lotor) aus ruralen und urbanen Populationen in Nord-Ost Deutschland.

Vet. Med. Diss. FU Berlin

94 Seiten. ISBN: 978-3-86387-630-2

Zusammenfassung:

Seit seiner ersten, 1934 erfolgten, Einbürgerung ist der Nordamerikanische Waschbär (Proyon lotor) eine invasive Tierart in Deutschland. Waschbären sind in Deutschland weit verbreitet, können aber in zwei Hauptpopulationen differenziert werden: Eine im Zentrum (Hessen), eine andere im nordöstlichen Landesteil (Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg). In Nordamerika gilt der Waschbär als bekannter Überträger von Infektionserregern wie Tollwut, Staupe oder dem zoonotischen Nematoden Baylisascaris procyonis. Aber trotz ihrer 70 Jahre währenden, erfolgreichen Einbürgerung gibt es wenig Kenntnis zu Infektionskrankheiten bei Waschbären in Deutschland. Um zu untersuchen, welche Krankheiten oder Krankheitserreger bei diesen Tieren vorkommen, wurden zwei Teilpopulationen in Nordostdeutschland ausgewählt: eine in einem ländlichen Waldgebiet (Müritz Nationalpark (MNP), Mecklenburg-Vorpommern), ein urbane im Großraum Berlin. Insgesamt wurden 240 Verkehrsopfer, jagdlich erlegte oder eingeschläferte Waschbären untersucht: 100 aus dem MNP (2007 bis 2011) und 140 aus Berlin (2011-2013). Tierkörpersektionen, histologische, mikrobiologische und molekularbiologische Untersuchungen von ausgewählten Erregern wurden mit diesen Tieren durchgeführt.

Die Ergebnisse sind in vier wissenschaftlichen Artikeln veröffentlicht: Artikel I: In vorangegangenen Studien histologisch entdeckte Parasitenzysten im Zungengewebe von Waschbären wurden untersucht und ihre Artzugehörigkeit identifiziert. Mesozerkarien konnten aus neun Tieren vom MNP und einem Tier aus Berlin isoliert und mittels PCR als Alaria alata in identifiziert werden. In histologischen Untersuchungen wurden A. alata Mesozerkarien nur in Zungengewebe detektiert, jedoch nicht in anderen Organen. Das deutet darauf hin, dass Waschbären für diesen Trematoden als paratenische Wirte auftreten. Die höhere Anzahl positiver A. alata Fälle im MNP im Vergleich zu Berlin läßt sich durch Unterschiede in der Nahrungszusammensetzung erklären, da den Waschbären im MNP häufiger Zwischenwirte von A. alata, wie Amphibien, zur Verfügung stehen als den urbanen Waschbären. Es konnte hier gezeigt werden, dass eine neueingebürgerte Art wie der Waschbär das Wirtsspektrum endemischer Parasiten erweitern kann. Artikel II: Der zweite Artikel aus diesem Projekt beschreibt Sarcoptesräude in urbanen Waschbären mit drei Fällen aus Berlin und zwei Fällen aus Kassel. Makroskopische Hautläsionen, histo-pathologische Befunde und die Morphologie der Milben werden beschrieben. Um den möglichen Ursprung der Infektionen zu finden, wurden neun Mikrosatellitenmarker für die Genotypisierung der von Waschbären isolierten Milben verwendet, um sie mit S. scabiei von Füchsen, Wildschweinen und Gämsen zu vergleichen. Die Milben der Waschbären lagen in einem Cluster mit S. scabiei von Füchsen, was für einem Infektionsursprung aus Füchsen spricht. Diese Ergebnisse deuten auf eine zwischenartliche Übertragung von S. scabiei zwischen urbanen Füchsen und Waschbären hin. Artikel III: Der erste große Staupeausbruch von Waschbären in Deutschland wird in diesem Artikel beschrieben, der im Winter 2012/2013 im Großraum Berlin stattfand. Während dieser Zeit, wurden im Rahmen dieser Doktorarbeit 97 Waschbärkadaver gesammelt. Histologische, immunhistochemische und RT-PCR Untersuchungen wurden mit Organproben durchgeführt und 74 Tiere als Staupe-positiv bestätigt. Zusätzlich erfolgten phylogenetische Analysen des Hämagglutiningens von Staupevirusisolaten aus vier dieser Waschbären. Alle diese Virusisolate lagen im phylogenetischen Cluster der „Europe“-Linie und sind eng verwandt zu Isolaten von Füchsen aus Deutschland und Hunden aus Ungarn. Diese Ergebnisse lassen eine Übertragung zwischen Waschbären und anderen Fleischfressern vermuten, in diesem Fall Füchsen oder möglicherweise auch einem ungeimpften Hund. Artikel IV: Dieser Artikel beinhaltet die Untersuchungen aller 240 Waschbären der gesamten Studie. Neben Sektionen und histo-pathologischen Untersuchungen wurden Organproben auf ausgewählte Krankheitserreger, die beim Waschbären beschrieben wurden, untersucht. Diese umfassen die zoonotischen Nematoden Baylisascaris procyonis, Trichinella spp., Tollwutvirus, Canines Adenovirus 1 (CAV-1), Suis herpesvirus 1 (SuHV 1, Aujeszkysche Krankheit), Parvovirus (PV), Canines Staupevirus (CDV) sowie Leptospira spp.. Makroskopische Befunde waren meist traumatischen Verletzungen, die in direktem Zusammenhang mit der Todesursache standen. Histologische Untersuchungen wiesen bei 65,6% der Waschbären entzündliche Läsionen auf, wobei Magen-Darm-Trakt, Leber, Milz und Lymphknoten am stärksten betroffen waren. Bei Berliner Waschbären fanden sich häufiger virale oder bakterielle Pathogene: CDV, PV, oder Leptospira spp., während Tiere aus dem MNP am häufigsten parasitäre Infektionen aufwiesen. In keinem der untersuchten Waschbären fanden sich weder B. procyonis oder Trichinella spp. noch Tollwutvirus, CAV-1, oder SuHv-1. Die Unterschiede im Pathogenvorkommen könnten durch die unterschiedlichen Habitate erklärt werden. Für urbane Waschbären kann es durch zersiedelte Habitat, reduzierte Streifgebietsgrößen, reiches Angebot sowohl anthropogener Nahrungsquellen als auch Zufluchtsorte zu erhöhten inner- als auch zwischenartlichen Kontaktraten kommen, die eine Pathogenübertragung erleichtern – nicht nur zwischen Waschbären als auch zwischen Waschbären und anderen urbanen Wildtieren sowie Haustieren oder auch Menschen. Im Unterschied dazu scheinen im MNP ideale Habitate und große Streifgebiete, verschiedenartige Futterressourcen, inklusive zahlreicher Zwischenwirte auf der einen Seite und seltene zwischenartliche Kontakte auf der anderen Seite zu einem geringerem Pathogenspektrum aber mit Schwerpunkt auf Parasiten zu führen.

Generell deuten die geringen Zahlen von Infektionskrankheiten bei Waschbären im Nordosten Deutschlands daraufhin, dass die Waschbären gegenwärtig keine herausragende Rolle in der Verbreitung oder Übertragung von Pathogenen zu spielen scheinen. Dennoch sollte, gerade aufgrund der Tatsache, dass Waschbären menschliche Siedlungen intensiver nutzen können als andere Wildtiere, die potenzielle Übertragung von Krankheitserregern nicht außer Acht gelassen werden und im Interesse des Gesundheitswesens urbane Waschbären kontinuierlich untersucht werden.

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© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx