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STÜBING, S. & BAUSCHMANN, G. (2011)

Artenhilfskonzept  für  den  Kiebitz  (Vanellus vanellus in  Hessen.  

Gutachten  im  Auftrag  der  Staatlichen  Vogelschutzwarte  für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Bad Nauheim. 118 S. + 29 S. Anhang.

Zusammenfassung:

Das Brutgebiet des Kiebitzes reicht von Irland bis Ostrussland und vom Nordkap und Sibirien bis Spanien. Aufgrund der starken Bestandsrückgänge ist der Kiebitz in zahlreichen internationalen Schutzkonventionen berücksichtigt; einen Überblick gibt Tabelle 2.

Der Kiebitz brütet in Deutschland in allen Bundesländern in jedoch überall deutlich rückläufigen Beständen. Der Gesamtbestand liegt aktuell bei etwa 75.000 Paaren. Schwerpunkte sind vor allem im unmittelbaren Küstenbereich, aber auch insgesamt in der Norddeutschen Tiefebene sowie in den tieferen Binnen-landgebieten wie dem Rheingraben oder dem Alpenvorland zu erkennen. Die hessischen Vorkommen sind demnach Teil einer großen Population.

Der Kiebitz brütet auf flachen, weithin offenen, baumarmen und wenig strukturierten Flächen mit fehlender oder kurzer Vegetation bzw. geringer Dichte höherer Einzelpflanzen. Seine Vorliebe für eine ausreichende Bodenfeuchtigkeit ist z. T. mit der dort geringen Vegetationshöhe im Frühjahr zu erklären. Der gleiche Effekt wird auch durch Bodenbearbeitung im Kulturland erreicht, vor allem, wenn dadurch die Härte trockener Böden kompensiert wird. Neststandorte und Nahrungsflächen können voneinander entfernt liegen. Heute findet die Mehrzahl der Bruten in Mitteleuropa auf mehr oder weniger trockenem Untergrund statt, noch im 19. Jahrhundert war die Art aber fast ausschließlich Feuchtbrüter. Wenngleich der Kiebitz nach anhaltenden Rückgängen im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Entwicklung der Landwirtschaft infolge der Besiedlung von Ackerflächen zunächst profitiert hat, ist der dramatische Bestandsrückgang seit etwa den 1980er Jahren allein durch die Intensivierung der Landbewirtschaftung ausgelöst.

Die Bestandsentwicklung des Kiebitzes in Hessen war zunächst ebenfalls positiv. Seit den 1950er Jahren bis Ende der 1960er Jahre wurden Zunahmen beobachtet, die vermutlich mit der gleichfalls zu dieser Zeit beginnenden Besiedlung von Acker-flächen als Brutplatz in Zusammenhang zu sehen sind. Bei den ersten landesweiten Erfassungen bestanden vermutlich noch deutlich Beobachtungslücken; 1966 wurden 1.100 bis 1.350 Paare, 1974 dann etwa 2.100 und 1987 nach Hochrechnung aus 15 Verbreitungsschwerpunkten etwa 2.000 Paare angegeben.

Die räumliche Verbreitung in den Zeiträumen um 1980, 1994 und von 2004 – 2008 zeigen die Verbreitungskarten der Abb. 9 bis 11. Demnach war der Kiebitz um 1980 auf 49,5 % der Messtischblatt-Quadranten als Brutvogel vertreten, darunter auch viele in den hessischen Mittelgebirgen. 1994 waren viele Brutgebiete verlassen und bei der bislang umfangreichsten Erhebung 2004 bis 2008 wurden bei erstmals lückenloser Kontrolle Vorkommen nur noch auf 17 % aller Quadranten gefunden. Vorkommen in den Mittelgebirgen sind nicht mehr bekannt, die noch vorhandenen Populationen konzentrieren sich in den Niederungen Mittel- und Südhessens. Aktuell ist mit etwa 300 Paaren eine Stabilisierung auf sehr niedrigem Niveau festzustellen. Gleichzeitig wurden drastische Rückgänge bei den durchziehenden Kiebitzen festgestellt.

Die gezielten Untersuchungen in vier Landkreisen, die im Hinblick auf Untersuchungsgebiet, Bestand, Bruterfolg, Konkretisierung von Schutzmaßnahmen und Schwellenwert für einen günstigen Erhaltungszustand der lokalen Population dargestellt werden, sowie telemetrische Studien an Jungvögeln im Wetteraukreis im Jahr 2010 erbrachten folgende Ergebnisse: Der Bestand des Wetteraukreises beherbergt mit etwa 110 Paaren somit allein mehr als ein Drittel des hessischen Vorkommens. Angesichts einer Verdoppelung des Vorkommens im Vergleich zum Jahr 2000 sind die Erfolge beim Schutz der Art hier vermutlich sogar ausschlaggebend für die Stabilisierung des landesweiten Bestandes. Ähnliche Bedeutung kommt dem Hessischen Ried im Kreis Groß-Gerau mit etwa 75 Paaren zu. Die Kreise Wetterau und Groß-Gerau weisen somit aktuell mehr als die Hälfte des Landesbestandes auf. Die weiterhin untersuchten Kreise Schwalm-Eder und Lahn-Dill wurden nur noch von 14 bzw. 15 Paaren aufgesucht.

Vor dem Hintergrund umfang- und erfolgreicher, lebensraumverbessernder Maßnahmen stellt in der Wetterau die Prädation durch Bodenprädatoren ein gravierendes Problem dar. Im Hessischen Ried ist hingegen der Verlust von Bruten durch landwirtschaftliche Arbeiten das Hauptproblem. Beeinträchtigungen und mögliche Schutzmaßnahmen werden allgemein sowie für jedes der untersuchten Gebiete separat diskutiert und zusammenfassend mit einem Ablaufschema dargestellt. Die aktuellen Vorkommen in Hessen werden zehn lokalen Populationen zugeordnet.

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© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx