Hirsche, Hirschferkel und Moschustiere

Weisswedelhirsch

Nordamerikanischer Weißwedelhirsch im Fossil Rim Wildlife Center, Glen Rose, Texas Nordamerikanischer Weißwedelhirsch im Fossil Rim Wildlife Center, Glen Rose, Texas
© Peter Dollinger, Zoo Office Bern

Überordnung: LAURASIATHERiA
Taxon ohne Rang: CETARTIODACTYLA
Ordnung: Paarzeher (ARTIODACTYLA)
Unterordnung: Wiederkäuer (Ruminantia)
Familie: Hirsche (Cervidae)
Unterfamilie: Trughirsche (Capreolinae)
Tribus: Amerikanische Trughirsche (Odocoileini)

D LC 650

Weißwedel- oder Virginiahirsch

Odocoileus virginianus • The White-tailed Deer • Le cerf de Virginie

119 006 013 002 odocoileus virginianus f fossilrim PD1
Nordamerikanische Weißwedel-Hirschkuh im Fossil Rim Wildlife Center, Glen Rose, Texas © Peter Dollinger

 

119 006 013 002 odocoileus virginianus map
Approximative Verbreitung der Weißwedelhirsche (Odocoileus virginianus)

 

119 006 013 002 odocoileus virginianus kalb fossilrim PD1
Nordamerikanisches Weißwedel-Hirschkalb (Odocoileus virginianus) im Fossil Rim Wildlife Center, Glen Rose, Texas © Peter Dollinger

 

119 006 013 002 odocoileus virginianus borealis ostrava KR1
Nördlicher Weißwedel-Hirschkuh (Odocoileus virginianus borealis) im Zoo Mährisch-Ostrau © Klaus Rudloff, Berlin

 

119 006 013 002 odocoileus virginianus m BER wDreier
Weißwedelhirsch (Odocoileus virginianus vermutlich borealis) im Zoo Berlin © Wolfgang Dreier, Berlin

 

119 006 013 002 odocoileus virginianus borealis helsinki PD1
Nördlicher Weißwedel-Hirschkuh (Odocoileus virginianus borealis) im Zoo Helsinki © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

119 006 013 002 odocoileus virginianus borealis helsinki PD2
Nördlicher Weißwedel-Hirschkuh (Odocoileus virginianus borealis) im Zoo Helsinki © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

119 006 013 002 odocoileus virginianus borealis erlen PD1
Vergesellschaftung von Nördlichen Weißwedelhirschen (Odocoileus virginianus borealis) und Wildtruten (Meleagris gallopavo) im Tierpark Lange Erlen, Basel© Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

119 006 013 002 odocoileus virginianus couesi tucson KR1
Arizona-Weißwedelhirsch (Odocoileus virginianus couesi), Hirschkuh im Arizona Sonora Desert Museum, Tucson © Klaus Rudloff, Berlin

 

119 006 013 002 odocoileus virginianus truei sanjose PD2
Honduranischer Weißwedelhirsch (Odocoileus v. truei) im Bast im Zoo von San José, Costa Rica © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

119 006 013 002 odocoileus virginianus peruvianus leyendas PD1
Peruanische Weißwedelhirschkuh (Odocoileus v. peruvianus) im Zoo Las Leyendas, Lima © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

119 006 013 002 odocoileus virginianus peruvianus huachipa PD1
Junger Peruanischer Weißwedelhirsch (Odocoileus v. peruvianus) im Parque Zoológico Huachipa, Ate, Peru © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

119 006 013 002 odocoileus virginianus gymnotis archives
Venezuela-Weißwedelhirsch (Odocoileus virginianus gymnotis), Archives du Muéum d'Histoire Naturelle, Paris Bd. VI (1852)

 

119 006 009 001 C capreolus Bambi
Walt DISNEY’s „Bambi“ ist kein Rehkitz, sondern ein Weißwedelhirschkalb (Odocoileus virginianus) – hier in Gesellschaft eines Streifernskunks und eines Baumwollschwanzkaninchens

 

Weitere Bilder auf BioLib

Als hauptsächlich nordamerikanische Art ist der Weißwedelhirsch für die meisten Zoos nicht prioritär und wird daher nur noch selten gehalten. Ausnahme ist Finnland, wo die Art eingebürgert wurde und daher als quasi-einheimische Art auch in mehreren Zoos zu sehen ist.

Körperbau und Körperfunktionen

In seinem großen Verbreitungsgebiet weist der Weißwedelhirsch eine enorme Bandbreite hinsichtlich Größe und Gewicht auf: Die Kopf-Rumpf-Länge beträgt bei den Hirschstieren 120-190 cm, die Schulterhöhe 60-105 cm das Gewicht 115-150 kg und mehr, bei den Hirschkühen liegt die Kopf-Rumpf-Länge bei 115-150 cm, die Schulterhöhe bei 55-95 cm und das Gewicht bei 25-85 kg. Dabei spielt die Bergmann’sche Regel: am größten und schwersten sind die Tiere aus dem Norden des Areals, wo starke Hirschstiere ein Gewicht von 180-230 kg erreichen können. Die Ohren sind lang, die Tränengrube ist klein, die Metatarsaldrüse klein oder fehlend, das übrige Duftdrüsenarsenal ist vorhanden. Der Schwanz ist zwischen 14 und 37 cm lang. Das Geweih der erwachsenen Hirsche wird 30-60(-80) cm lang. Oft hat es nur 2-4 Enden pro Stange, aber es gibt auch starke Hirsche mit 30-38 Enden. Das Fell ist im Sommer rostbraun, im Winter graubraun. Weiße Bereiche um die Augen, an Muffel, Kinn, Kehle, Unterseite, Spiegel und Schwanzunterseite. In kühleren Klimaten ist das Winterfell dicht mit viel Unterwolle [3; 4; 7].

Verbreitung

Weit verbreitet in Nord-, Mittel- und Südamerika vom südlichen Kanada bis nach Brasilien: Belize, Brasilien, Kanada, Kolumbien, Costa Rica, Ekuador; El Salvador, Französisch-Guyana, Guatemala, Guyana, Honduras, Mexiko, Nikaragua, Panama, Peru, Surinam, USA, Venezuela. Eingeführte Populationen in Finnland, der Slowakei, Tschechien und Neuseeland sowie auf der kanadischen Prniz-Edward-Insel [1].

Der Bestand in Finnland, wo die Art als invasiv gilt, geht auf einen Import von 5 Tieren  aus Minnesota im Jahr 1934 zurück. 1983 entwichen die Hirsche aus ihrem 3.5 ha großen Gehege. 1949 wr4den weitere 1.3 Tiere freigesetzt, die aber möglicherweise nicht überlebten. Der Bestand wuchs schnell und hat sich in den letzten Jahren verdoppelt. 2018 gab es bereits über 100'000 Individuen. Diese konzentrieren sich im Süden des Landes. Nördlich von Oulo/Uleåborg gibt es keine mehr. Jährlich kommt es zu über 5'000 Verkehrsunfällen an denen Virginiahirsche beteiligt sind. Um den Bestand zu begrenzen werden jährlich über 36'000 Abschussgenehmigungen erteilt [8; 9].

Lebensraum und Lebensweise

In seinem Verbreitungsgebiet, das sich über mehrere Klimazonen erstreckt, besiedelt der Weißwedelhirsch die unterschiedlichsten Lebensräume, einschließlich borealen Nadelwald, kühle Regenwälder, Misch- und Sommergrüne Laubwälder der gemäßigten und subtropischen Zone, verschiedene Waldtypen der Tropen, Grasländer, Halbwüsten und Mediterrane Hartlaubvegetation. In den Anden geht er bis auf eine Höhe von 4'500 m. Er ist ein anpassungsfähiger Selektiväser, der sich von Blättern, Knospen, Zweigen, Früchten, Baumrinde und Kräutern ernährt und gelegentlich auch tierisches Material zu sich nimmt. Dabei nutzen die Tiere Streifgebiete von meist 100-300 ha [1; 7].

Weißwedelhirsche bilden Mutterfamilien, die auch ältere weibliche Nachkommen umfassen und die sich zeitweilig zu größeren Herden zusammenschließen können. Die subadulten und adulten Böcke vereinigen sich zu losen Junggesellengruppen. Etwa einen Monat vor der Brunft, deren Eintreten regional unterschiedlich ist, fechten die Böcke Kämpfe aus, um eine soziale Rangordnung herzustellen. Wie beim Reh folgt während der Brunft ein Bock einem einzelnen, empfängnisbereiten Weibchen. Nach einer Tragzeit von 194-202 Tagen werden in Nordamerika am häufigsten im Mai / Juni meistens Zwillinge gesetzt, bei jungen Weibchen und in den Tropen öfter einzelne Kälber. Diese sind gefleckt und wiegen beider Geburt 1.7-4 kg. Sie sind Ablieger und beginnen der Mutter etwa ab der 3. Lebenswoche zu folgen. Geschlechtsreife wird in Nordamerika mit etwa 18 Monaten, in den Tropen mit 12 Monaten erreicht [7].

Gefährdung und Schutz

Der Weißwedelhirsch ist als Art nicht gefährdet. In Nordamerika dehnt er sein Areal aus und die Bestände nehmen zu, der Gesamtbestand in den Vereinigten Staaten wird auf 11 Millionen Tiere geschätzt. Viele Populationen in Mittel- und Südamerika nehmen dagegen ab [1].

Seit dem 23.4.1981 ist der internationale Handel mit Exemplaren der Population Guatemalas (O. v. mayensis) nach Anhang III CITES geregelt. Die so geschützte Unterart ist allerdings nicht allgemein anerkannt.

Nach Anhang 1 der Jagdverordnung gilt der Weißwedelhirsch in der Schweiz als nicht einheimische Art, deren Ansiedlung zu vermeiden ist und deren Einfuhr und Haltung daher einer jagdrechtlichen Bewilligung bedarf.

Bedeutung für den Menschen

Wirtschaftliche Bedeutung: Weißwedelhirsche sind Kulturfolger, die das Siedlungsgebiet und Agrarland nutzen, nicht immer zur Freude der Landbesitzer. Im Internet sind jede Menge Informationen über von den Tieren angerichtete Schäden und deren Vermeidung zu finden. So wird etwa angegeben, dass sich im Jahr 2001 die Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen in den USA auf über 765 Millionen USD beliefen. Andererseits ist der Weißwedelhirsch die wichtigste Schalenwildart für die Jagd in Nordamerika. Pro Jahr werden über 3 Millionen Geweihträger und 3.5 Millionen Stück Kahlwild erlegt [5].

Kulturelle Bedeutung: Durch die Verfilmung des Romans "Bambi - Eine Lebensgeschichte aus dem Walde" (1923) des österreichisch-ungarischen Journalisten und Schriftstellers Felix SALTEN (1869-1945) durch Walt DISNEY (1942) wurde das Reh der Romanvorlage zum Weißwedelhirsch umfunktioniert und dieser dadurch im angelsächsischen Sprachraum sehr populär, wobei "bambi hugger" im abschätzigen Sinn zum Synonym für Tierschützer wurde. Der Weißwedelhirsch ist das Nationaltier mehrerer amerikanischer Bundesstaaten und ziert das Wappen der kanadischen Provinz Saskatchewan.

Haltung

Weißwedelhirsche können mit anderen Tierarten vergesellschaftet werden, z.B. früher im Tierpark Lange Erlen mit Wildtruten. Eine Vergesellschaftung mit Schwarzwedelhirschen sollte unterbleiben, da sich die beiden Arten kreuzen und fruchtbare Nachkommen haben können [2].

WEIGL gibt als Altersrekord 21 Jahre und 7 Monate für eine noch im Caldwell Zoo TX lebende Hirschkuh an [6].

Haltung in europäischen Zoos: Da in Europa die meisten Zoos der nordamerikanischen Fauna wenig Bedeutung beimessen, hat sich die Zahl der Weißwedelhirschhalter auf etwa 10 verringert. In Deutschland sind es (2023) noch zwei. So weit bekannt, handelt es sich um Tiere der Unterart borealis. Für Details siehe Zootierliste.

Mindestanforderungen an Gehege: Nach Säugetiergutachten 2014 des BMEL soll für bis zu 5 Tieren ein Gehege von mindestens 200 m² zur Verfügung stehen. Für jedes weitere Tier kommen 10 m² zur Basisfläche dazu.

Die Schweizerische Tierschutzverordnung (Stand 01.06.2022) schreibt für bis zu 8 Tiere ein Gehege von 600 m² mit Abtrennmöglichkeit und natürlichen oder künstlichen, allen Tieren gleichzeitig Platz bietenden Unterständen, einer Suhle und einer Badegelegenheit vor. Für jedes weitere Adulttier ist die Fläche um 60 m² zu erweitern. Bei Haltung auf Naturboden wie gewachsen sind die Flächen zu verdreifachen.

Nach der 2. Tierhaltungsverordnung Österreichs (Stand 2023) sind für 1-5 Tiere 500 m² erforderlich, für jedes weitere 50 m² mehr. Es müssen Unterstände vorhanden sein, die allen Tieren gleichzeitig Platz bieten.

Taxonomie und Nomenklatur

Der Weißwedelhirsch wurde 1780 von dem Braunschweiger Naturkundeprofessor Eberhardt August Wilhelm von ZIMMERMANN unter dem Namen "Dama virginiana" erstmals wissenschaftlich beschrieben und wurde 1832 von dem in Marseille aufgewachsenen, hauptsächlich in den USA tätigen Universalgelehrten Constantine Samuel RAFINESQUE als Typusart in die neu aufgestellte Gattung Odocoileus überführt. Traditionell werden 38 Unterarten anerkannt. Manche Autoren sind aber der Ansicht, es handle sich beim Weißwedelhirsch nicht um eine einzige Art, sondern um einen Artkomplex. Es wird auch diskutiert, ob südamerikanische Weißwedelhirsche nicht mit den Großmazamas (Mazama americana-Gruppe) zu einer Art zusammengelegt werden sollten [1; 2; 7].

Literatur und Internetquellen

  1. GALLINA, S. and LOPEZ AREVALO, H. 2016. Odocoileus virginianus. The IUCN Red List of Threatened Species 2016: e.T42394A22162580. http://dx.doi.org/10.2305/IUCN.UK.2016-2.RLTS.T42394A22162580.en. Downloaded on 17 April 2017.
  2. GROVES, C.P. & GRUBB, P. (2011)
  3. GRZIMEK, B. (ed., 1970)
  4. PUSCHMANN, W., ZSCHEILE, D., & ZSCHEILE, K. (2009)
  5. QDMAs WHITETAIL REPORT 2017
  6. WEIGL, R. (2005)
  7. WILSON, D. E. et al. eds. (2009-2019)
  8. LAJI.FI
  9. YLE

Zurück zu Übersicht Paarzeher

Weiter zu Pampashirsch (Ozotoceros bezoarticus)

Gelesen 22254 mal Letzte Änderung am Samstag, 25 Februar 2023 16:20
© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx