Afrotheria

Seekühe - Allgemeines

Karibische Seekuh (Trichechus manatus) im Tierpark Berlin © Klaus Rudloff, Berlin Karibische Seekuh (Trichechus manatus) im Tierpark Berlin © Klaus Rudloff, Berlin
© Klaus Rudloff, Berlin

Klasse: Säugetiere (MAMMALIA)
Unterklasse: Höhere Säugetiere (EUTHERIA)
Überordnung: AFROTHERIA
Taxon ohne Rang: PAENUNGULATA
Ordnung:

Seekühe

Sirenia • The Sea Cows • Les siréniens

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Karibische Seekuh (Trichechus manatus) im Crystal River National Wildlife Refuge. Bild: Tracy Colson, US Fish and Wildlife Service

 

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Karibische Seekuh (Trichechus manatus) im ZooParc de Beauval © ZooParc de Beauval

 

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Dugong (Dugong dugon) im Toba New Aquarium, Japan © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Dugong (Dugong dugon) im Toba New Aquarium, Japan © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Karibische Seekühe (Trichechus manatus) im ZooParc de Beauval © ZooParc de Beauval

 

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Dugong-Schädel (Dugong dugon) in Göteborgs Naturhistoriska Museum © Gunnar Creutz. Übernommen und bearbeitet unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International-Lizenz

 

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Anlage für Karibische Seekühe im ZooParc de Beauval © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

Die Seekühe oder Sirenen sind stark ans Wasserleben angepasste, große Säugetiere, die sich nicht freiwillig ans Trockene begeben und sich ausschließlich von Wasserpflanzen ernähren.

Artenspektrum und innere Systematik

Die Ordnung der Seekühe umfasst zwei neuzeitliche Familien mit insgesamt fünf Arten, von denen eine 1768 ausgerottet wurde [2; 3; 6; 9]:

Rundschwanzseekühe oder Manatis  (Trichechidae)
•    Gattung Trichechus mit 3 Arten - in Afrika, Nord-, Mittel- und Südamerika

Gabelschwanzseekühe oder Dugongs (Dugongidae)
•    Dugong (Dugong dugon) - im Indopazifischen Raum: Afrika, Asien, Australien
•    Stellersche Seekuh (Hydrodamalis  (= Rhytina) gigas) † - ehemald im Nordpazifik

Die vier noch lebenden Arten gelten alle als gefährdet (Rote Liste: VULNERABLE), zwei Populationen des Dugongs als vom Aussterben bedroht (CRITICALLY ENDANGERED). Beim Westafrikanischen Manati (Trichechus senegalensis) ist der Populationstrend unbekannt, bei allen anderen nehmen die Bestände ab [1].

Körperbau und Körperfunktionen

Seekühe sind massige, walzenförmig gebaute Wassertiere, mit (beim Erwachsenen) nackter, runzeliger Haut und dicker subkutaner Fettschicht. Tiere der heute noch lebenden Arten erreichen eine Gesamtlänge von bis zu vier Metern und ein Gewicht bis zu 680 kg. Ihre Vordergliedmaßen und ihr Schwanz sind zu Flossen umgebaut, ihre Hintergliedmaßen sind zurückgebildet. Die Schnauze ist mit dicken Borsten versehen. Gebiss und Zahnwechsel sind ähnlich wie bei den Rüsseltieren, ferner ist der Kiefer stellenweise mit hornigen Reibeplatten besetzt. Die Nasenlöcher sind verschließbar, Ohrmuscheln fehlen. Die Kreuzwirbel sind nicht zu einem Kreuzbein verwachsen und, abweichend von den meisten anderen Säugetieren, sind bei einzelnen Arten nur sechs Halswirbel vorhanden. Der Magen ist vielkammrig, der Darm lang. Die Weibchen haben zwei brustständige Zitzen und eine zweihörnige Gebärmutter, bei den Männchen sind die Hoden bauchständig und der Penis ist rückziehbar.

Seekühe sind sozial lebende Tiere, die in seichten Küstengewässern und Flussmündungen ihre Nahrung, ausschliesslich Wasserpflanzen, suchen [2; 3; 7; 9].

Verbreitung

Subtropisches Nodamerika, Mittel- und tropisches Südamerika, Westafrika, Subtropische und tropische Teile des Indischen und Westpazifischen Ozeans, die ausgerottete Stellersche Seekuh lebte in den kalten Gewässern der Beringsee.

Haltung im Zoo

In europäischen Zoos wird gegenwärtig nur die Karibische Seekuh gehalten. Bis in die 1970er Jahre gab es auch einzelne Vertreter der beiden andern Manati-Arten [8]. Einige wenige Dugongs sind in Zoos bzw. Aquarien Australiens, Südost- und Ostasiens zu sehen.

Taxonomie und Nomenklatur

1945 fasste der amerikanische Zoologe und Palaeontologe G.G. SIMPSON auf der Grundlage morphologischer Merkmale die Seekühe mit den Rüsseltieren und Schliefern zur Überordnung Paenungulata („Fast-Huftiere“) zusammen. 1997 wurde aufgrund molekulargenetischer Untersuchungen die neue, morphologisch sehr heterogene Überordnung Afrotheria geschaffen, die neben den Paenungulaten auch die Röhrenzähner (Tubulidentata), die Tenrekartigen (Afrosoricida) und die Rüsselspringer (Macroscelidea) umfasst. Da die enge phylogenetische Verwandtschaft der Seekühe, Elefanten und Schliefer durch genetische Untersuchungen weitgehend bestätigt worden ist, wird "Paenungulata" heute als "Taxon ohne Rang" innerhalb der Afrotheria angesehen. Zu den Paenungulata gehören auch  die den Seekühen ähnlichen Desmostylia, die im Oligozän und Miozän, also vor etwa 5-30 Millionen Jahren, an der Nordpazifiküste lebten [4; 5].

D EX 650

 

 

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Stellersche Seekuh (Hydrodamalis gigas). Bild aus ELLIOTT, H. W. (1886): Our Arctic Province : Alaska and the Seal Islands; New York, Verlag C. Scribner's Sons.

 

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Steller 1742 bei der Untersuchung eines Borkentiers - Bild aus GOLDER / MOHR

 

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Skelette von Steller-Seekuh und Manati im Zoologischen Museum von St. Petersburg - Bild E. P. Tratz

 

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Letzte Vorkommen des Borkentiers (Hydrodamalis (=Rhytina) gigas) im 18. Jahrhundert: Bering- und Medny-Insel

 

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Auszug aus G. W. Stellers Originalbeschreibung der Stellerschen Seekuh

 

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Entdeckung und Ausrottung der Steller-Seekuh

Die auch Borkentier genannte Stellersche Seekuh (Hydrodamalis (= Rhytina) gigas) wurde schon kurz nach ihrer Entdeckung im Jahr 1741 ausgerottet. Im Gegensatz zu den anderen rezenten Seekuharten war das Borkentier an die Kälte angepasst. Es lebte auf den Kamtschatka vorgelagerten Komondorski-Inseln, auf denen die schiffbrüchige, skorbutkranke Mannschaft des Kapitäns Vitus BERING überwintern musste, als ihr Schiff dort 1741 strandete. Zur Besatzung gehörte als Schiffsarzt der Deutsche Georg Wilhelm STELLER aus (Bad) Windsheim in Mittelfranken, dem wir die erste Beschreibung des Borkentiers verdanken [10].

Der von den Kamtschadalen für das Borkentier benutzte Name war "Kapustnik", was Steller mit "Krautemser", d.h. Kohlfresser übersetzte, wobei sich "Kohl" auf eine "Meerkohl" genannte breitblättrige Meeralge bezog. STELLER vermaß ein erlegtes weibliches Tier, das ein Gewicht von etwa 4000 kg hatte. Die Gesamtlänge von der Nasen- bis zur Schwanzflossenspitze betrug 752 cm, der grösste Umfang 620 cm. Der Darm war 154 Meter lang, also etwa 20x so lang wie das Tier. Aus zeitgenössischen Darstellungen weiß man, wie das Tier ausgesehen hat. Museumsexemplare sind nur wenige erhalten. So besitzen die Museen von Moskau und St. Petersburg Skelette und andere Körperteile, das Zoologische Museum in Hamburg einen Schädel und Hautstücke. Diese Hautstücke gelangten ursprünglich ins Museum, weil sie voll von Cyamus rhytinae einem parasitischen Hautkrebs waren. Dieser Krebs modellierte die Haut der Seekühe derart, dass sie der rauen Borke eines Baumes ähnelte. Daher der Name "Borkentier".

Über das Liebesleben der Borkentiere schrieb STELLER: "Im Frühjahr begatten sie sich wie Menschen; und besonders gegen Abend wenn das Meer stille ist. Ehe sie zusammenkommen, gehen viele Liebesspiele vorher. Das Weibchen schwimmt sachte hin und her, das Männchen aber folget. Dasselbe betrügt das Weibchen durch so viele Wendungen und krumme Wege, bis es endlich selbst überdrüßig wird und sich gleichsam ermüdet und gezwungen auf den Rücken leget: worauf das Männchen wüthend auf dasselbe zukömmt, seiner Geilheit genüge thut, und beyde einander umfassen."

STELLER beschrieb auch, wie Borkentiere gejagt wurden: "Diese gefräßigen Thiere fressen ohne Unterlaß, und haben für großer Gierigkeit den Kopf beständig unter Wasser, ohne sich um ihr Leben oder ihre Sicherheit zu bekümmern. Daher kann einer auf dem Kahne, so gar nacket, mitten unter sie hineinfahren und sicher eines aus der Herde auslesen und mit dem Haken werfen." Um die harpunierte Seekuh an Land zu bekommen, war eine Seilmannschaft von 30 nötig, die "das Thier hielten, und unter einem ängstlichen Widerstand desselben mit großer Mühe an das Ufer zogen. Diejenigen aber, welche in dem Boote waren, befestigten sich an ein ander Seil, und matteten das Thier mit beständigen Hieben und Stößen dergestalt ab, dass es endlich, da es stille und müde wurde, mit Dolchen, Messern und anderem Gewehre todtgemacht und an Land gezogen wurde. Einige schnitten aus dem noch lebenden Thiere ganz große Stücke heraus." Die Beschreibung der Grausamkeiten geht noch weiter, aber wir wollen es dabei bewenden lassen.

1741 gab es wohl einen Bestand von 1'500-2'000 Borkentieren, die sich auf etwa 15 Weidegründe rings um Bering- und Kupferinsel verteilten. Bereits um 1754 waren die Borkentiere um die Kupferinsel ausgerottet, und das wahrscheinlich letzte Tier wurde 1768 bei der Beringinsel getötet [3].

Literatur und Internetquellen

  1. IUCN Red List of Threatened Species. Version 2016-3. Downloaded on 12 January 2017.
  2. KURT, F. & WENDT, H. (1970). In GRZIMEKs TIERLEBEN.
  3. MOHR, E. (1957)
  4. SIMPSON, G. G. (1945)
  5. SPRINGER, M. S., CLEVEN, G. C. et al. (1997)
  6. WILSON, D. E. & REEDER, D. M. (2005)
  7. ZISWILER, V. (1976)
  8. ZOOTIERLISTE
  9. WILSON, D. E. et al. eds. (2009-2019) 
  10. STELLER, G. W. (1753). Georg Wilhelm Stellers ausführliche Beschreibung sonderbarer Meerthieren mit Erläuterungen und nöthigen Kupfern versehen. Verlag Hans Christian Kümmel, Halle.

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Gelesen 12879 mal Letzte Änderung am Samstag, 28 Januar 2023 10:31
© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx