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SCHMUCKER, S. S. (2004)

Untersuchungen zur Feinstruktur der oralen Aktivitäten bei Giraffen (Giraffa camelopardalis).

Diplomarbeit

81 Seiten

Math.-Nat. Fakultät, Universität zu Köln
Leitung: Prof. Dr. G. Nogge
Zoo Köln

Zusammenfassung:

Bei Giraffen (Giraffa camelopardalis) in Zoos treten häufig scheinbar funktionslose und in repetitiver Weise ausgeführte Zungenbewegungen auf, die als orale (Verhaltens-) Störungen bezeichnet werden und deren Ursache nicht ausreichend geklärt ist. Häufig werden sie mit einer Störung der Kontrolle der Nahrungsaufnahme erklärt. Die Kontrolle der Nahrungsaufnahme freilebender Giraffen wird durch ein Zusammenspiel verschiedener Regulationsmechanismen gesteuert. In dieser Studie wird angenommen, dass Giraffen ein endogen bedingtes Soll an Fressbewegungen besitzen, das im Freiland eine ausreichenden Aufnahme von Nahrung gewährleistet. Die ausreichende Futteraufnahme bedingt Sättigungssignale, die zu einer Beendigung der Mahlzeit führen. In menschlicher Obhut könnten durch die leichte Zugänglichkeit des Futters Sättigungssignale wie der Pansenfüllstand und/oder chemische Signale einen Stopp der Futteraufnahme auslösen bevor eine ausreichende Anzahl an Fressbewegungen ausgeführt werden kann. Orale Störungen könnten dazu dienen, dieses Defizit an Fressbewegungen auszugleichen. 
Ziel dieser Arbeit war es den Einfluss von ausreichend ausgeführtem Fressverhalten auf die Häufigkeit von oralen Störungen zu untersuchen. In einem quasi-experimentellen Ansatz wurde an fünf Giraffen die Wirkung der Aufnahme unbelaubter Äste im Winter im Gegensatz zu belaubten Ästen im Sommer auf die Tagesaktivität und insbesondere auf die oralen Aktivitäten untersucht.
Es wurden die Zungenbewegungen bei der Aufnahme verschiedener Futtermittel und bei oralen Störungen mit Hilfe von Videoaufnahmen bestimmt. Die Giraffen zeigten beim Fressen von belaubten Ästen eine höhere Anzahl an komplizierten Zungenbewegungen als bei der Aufnahme der meisten anderen Futtermittel. Orale Störungen ähnelten qualitativ und quantitativ der Aufnahme verschiedener Futtermittel. Die Gesamtzungenbewegungen pro Tag unterschieden sich nicht in Winter und Sommer, wohingegen durch die Futteraufnahme bedingte Zungenbewegungen im Sommer zunahmen und Zungenbewegungen durch oralen Störungen abnahmen. Zur Bestimmung der prozentualen anteile der verschiedenen Verhaltensweisen am Tag - insbesondere der Nahrungsaufnahme und der oralen Störungen - wurden in beiden Beobachtungsperioden Aktivitätsbudgets erstellt. Im Sommer konnte bei allen Giraffen eine Abnahme der Anteile von oralen Störungen beobachtet werden. Die prozentuale Anteile an Fressen zeigten im Sommer keine Zunahme. Im Rahmen einer Quantifizierung der Futteraufnahmemenge in beiden Zeiträumen konnte im Sommer eine grössere Aufnahmemenge von Rauhfutter festgestellt werden.
Allgemein deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Giraffen ein endogen bedingtes Soll an Zungenbewegungen aufweisen. In menschlicher Obhut scheint ein Defizit an oralen Aktivitäten aufzutreten, dessen Ausgleich scheinbar durch orale Störungen gelingt. Es kann als wahrscheinlich angesehen werden, dass bei den in Zoos üblichen Fütterungsregimes physiologische Sättigungssignale zu einer frühzeitigen Beendigung der Futteraufnahme führen.

 

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© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx