Haltungsansprüche

Tiere verstehen

Zwei, die sich verstehen: Orangutan-Weibchen Sexta und junge Besucherin Zwei, die sich verstehen: Orangutan-Weibchen Sexta und junge Besucherin
© ZOOM Erlebniswelt, Gelsenkirchen. Pressefoto.

Kritik an der Haltung von Tieren im Zoo gründet meistens auf romantischen Vorstellungen vom Leben in der "freien Natur", der Meinung, dass die Tiere ein abstraktes Verständnis von "Freiheit" hätten und deswegen ihr Gehege als Gefängnis empfinden müssten, sowie der Unkenntnis über ökologische Zusammenhänge, die tatsächlichen Bedürfnisse der Tiere - und damit über deren Haltungsansprüche.

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In Berlin erkannten Schüler im Mittel von 8 in der Stadt häufigen Vogelarten visuell nur deren zwei, akustisch gar keine. 3 von 4 Schülern kannten nicht einmal die Kohlmeise © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

 

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In NRW und Hessen glaubt jeder 9. Schüler, alle Enten seien gelb. Bild https://www.piqsels.com/de/public-domain-photo-jfpnc

 

 

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Ausschnitt aus dem laut einem Blog (Yahoo! Clever) angeblich 12 m² kleinen "Tiegerkäfig" des Magdeburger Zoos. Tatsächlich misst das Gehege 1'400 m². Es verfügt über ein Badebecken von 40 m², ferner gibt es ein etwa 100 m² großes Abtrenngehege und geräumige Innenboxen, die eine individuelle Aufstallung der Tiere erlauben. © patterpics

 

 

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Wildhund mit nach Hetzjagd getöteter, schon teilweise aufgefressener Kudu-Antilope. Madikwe-Wildreservat, Südafrika © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

 

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Ganzkörperfütterung bei den Löwen des Tiergartens Nürnberg © Tiergarten Nürnberg

 

 

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In der Zooschule Neuwied wird thematisiert, was Löwen und Tiger fressen

 

 

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Sex bei Spitzmaulnashörnern im Zoo Dvůr Kralové © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

 

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Filmhund Lassie (1965) Foto: State Archive of Florida

 

 

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Klein-Nemo folgt Daddy Marlin. Bild aus dem Trickfilm "Finding Nemo" der Pixar Animation Studios. 2003.

Der Einfluss der Medien und fehlende Naturerfahrungen führen dazu, dass die Natur immer weiter verniedlicht wird. Namentlich viele Jugendliche interessieren sich wenig für Naturkunde, haben minimalste Kenntnisse über Wildtiere und -pflanzen und können sich nicht an ein Naturerlebnis erinnern.  Andererseits haben sie offensichtlich ein unrealistisch rosarotes Bild von der Natur. Für viele Menschen ist es daher ein Tabu, Bäume als Rohstoffe und Tiere als Nahrungsmittel anzusehen. Wenig mit Tieren vertraute Stadtmenschen neigen dazu, Tiere zu vermenschlichen und ihnen Gedankengänge, Empfindungen und Bedürfnisse zu unterstellen, die sie selbst haben. Bekenntnisse zum Tierschutz nehmen religiöse Züge an, was in den deutschsprachigen Ländern sogar seinen Niederschlag in den Grundsatzartikel der Tierschutzgesetze findet.

Die bei vielen Menschen zu beobachtende naive Einstellung zum Tier wird möglich, weil im Schulunterricht der Naturkunde immer weniger Bedeutung beigemessen wird, obwohl Artikel 12 des Übereinkommens über die biologische Vielfalt die Vertragsstaaten verpflichtet, Programme der wissenschaftlichen und technischen Bildung und Ausbildung in der Bestimmung, Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt und ihrer Bestandteile einzurichten beziehungsweise weiterzuführen.

Bildung wird so durch Einbildung ersetzt, Aufklärung durch Verklärung, Wissen durch Glauben. Der Wunsch nach paradiesischen Zuständen überwiegt. Was an natürlichen Abläufen nicht in dieses Wunschbild hineinpasst, wird ausgeblendet.

Dass Elefanten keine "sanften Riesen" sind, sondern gelegentlich Menschen attackieren und töten und, wenn sie in großer Zahl auftreten, ihren Lebensraum nachhaltig schädigen, wird nicht zur Kenntnis genommen. Dass ein Löwe majestätische Giraffen und hübsch gestreifte Zebras, ein Gepard niedliche Gazellen, ein Luchs jede Woche ein Rehlein als Nahrung braucht, will man nicht wissen. Dass Hyänen oder Wildhunde ihrem Beutetier den Bauch aufschlitzen und anfangen, die Eingeweide zu fressen, währenddem das Gnu, der Kudu oder das Büffelkalb noch lebt, interessiert niemanden. Generell wird der Tod, dem man in unserer Ein-Kind-Gesellschaft mit ihren langen Abständen zwischen den Generationen ohnehin nur selten begegnet, verdrängt.

Auch dass allein in den deutschsprachigen Ländern jährlich 60 Millionen männliche Eintagsküken geschreddert oder vergast wurden*, wurde ignoriert und hat bei der breiten Maße keinen Einfluss auf den Konsum von "Chicken Nuggets" und "Chicken Wings". Dafür wurde das Einschläfern von drei Tigerbastarden, das ein Zoodirektor nach reiflicher Überlegung veranlasst hat, in den Medien skandalisiert.

Wenn ein Zoo seinen Schlangen Meerschweinchen, seinen Luchsen Kaninchen im Fell verfüttert, hat er bereits Erklärungsbedarf. Erhalten die Löwen ein totes Zebra, muss die Zoodirektion jemanden abstellen, der den Leuten erklärt, dass (a) Löwen keine Möhren fressen, sondern Fleisch, dass (b) Fleisch nicht in den Kühlregalen der Supermärkte wächst, sondern Teil eines getöteten Tieres ist, und (c) dass es aus Gründen des Tier- und Umweltschutzes allemal besser ist, ein im eigenen Betrieb gut gehaltenes, rasch und schmerzlos getötetes Tier zu verfüttern, als das Fleisch einer Kuh aus intensiver Landwirtschaft, deren Transport zum und Tötung im Schlachthof wohl nicht ganz frei von Leiden war.

In Amerika drücken sich viele Zoos um solch unangenehme Wahrheiten und füttern den Großkatzen Riesenhamburger. Die werfen keine Fragen auf, da Hamburger auch beim Durchschnittsamerikaner Teil der täglichen Kalorienzufuhr sind und ihr Ursprung nicht weiter zurückverfolgt wird, als bis zum nächsten McBurger Drive-in.

Zwar wird gefordert, dass Tiere artgemäß und tiergerecht gehalten werden, aber sie sollen sich tunlichst nicht sexuell betätigen. Denn sonst gäbe es ja Nachwuchs, für den es in den Zoos möglicherweise keine Planstellen gibt, und der müsste dann dasselbe Schicksal erleiden, wie in der "freien Natur", nämlich getötet und gefressen zu werden. Tiere zu kastrieren und sie damit ihres Geschlechts- und Familienlebens zu berauben, wird nicht als Widerspruch zu einer artgemäßen und tiergerechten Haltung angesehen, denn bei den Nutz- und Heimtieren ist dies ja gängige Praxis. Vergessen wird dabei, dass der Mensch Rinder und Schweine als Lieferanten für Nahrungsmittel, Pferde als Sportgeräte, Katzen und Hunde als Ersatzsozialpartner in einer Single-Gesellschaft instrumentalisiert hat und dass sich ihre Ansprüche jenen des Menschen in einer Art und Weise unterordnen müssen, wie es bei Zootieren nicht der Fall ist.

Das mangelnde Verständnis dafür, was ein Tier tatsächlich braucht und wie man seinen Ansprüchen gerecht werden kann, wird gefördert einerseits durch eine Tierrechts-Industrie, die in Verbindung mit Spendenaufrufen haltlose Behauptungen in die Welt setzt, welche dann von den Medien und manchen Politikern unkritisch übernommen werden, andererseits durch Dokumentarfilme, die ein bisweilen unrealistisches Naturbild vermitteln und in denen gerne auch mal in Zoos oder Studios gefilmte Szenen oder zahme Tiere eingesetzt werden. Noch schlimmer sind Trick- und Spielfilme, in denen Fische, Mäuse und Enten sprechen können oder Delfine und Hunde intellektuelle Leistungen vollbringen, zu denen sie in Tat und Wahrheit nicht fähig sind.

§ 2 des deutschen Tierschutzgesetzes verpflichtet Personen, "die Tiere halten, betreuen oder zu betreuen haben, die Tiere entsprechend ihrer Art und ihren Bedürfnissen angemessen zu ernähren, zu pflegen und sie verhaltensgerecht unterzubringen", und in den Tierschutzgesetzgebungen der anderen deutschsprachigen Länder gibt es vergleichbare Bestimmungen. Das Personal der wissenschaftlich geleiteten Zoos besteht aus Fachleuten - Zoologen, Tierärzten und Tierpflegern, die über die entsprechenden tiergartenbiologischen Kenntnisse verfügen. Auch die kleineren Tierparks und die Wildgehege verfügen zumindest über ausgebildete Tierpfleger mit entsprechender Sachkunde. Viele Zookritiker verstehen dagegen Tiere in keiner Weise, denn es mangelt ihnen oft an Sachkenntnis darüber, was Tiere brauchen und wie den Ansprüchen von Tieren in Menschenobhut entsprochen werden kann.

Auf den folgenden Seiten wird erläutert, mit welchen Haltungsansprüchen sich die Zoos zu befassen haben:

Weiterführende Literatur und Internetquellen:

* In Deutschland besteht seit 2022 ein allgemeines Verbot des Tötens von Küken (Ausnahme Stubenküken zum menschlichen Konsum), in Österreich ist die Tötung von Eintagsküken nur noch zugelassen, wenn sie zum Verfüttern an andere Tiere dienen, in der Schweiz ist das Schreddern verboten und die Industrie will generell vom Töten abkommen.

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Gelesen 6813 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 24 August 2023 15:53
© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx