D

DOLLINGER, P. (2014)

Nachhaltige Zucht im Zoo – ein Zukunftsprojekt?

Seiten 71-77 in: DVG ( Hrsg., 2014): Tierschutz in Zirkus und Zoo : am 23. - 24. Mai 2014 in Duisburg / Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT), Deutschen Gesellschaft für Zootier-, Wildtier- und Exotenmedizin (DVG-ZWE) und Akademie für tierärztliche Fortbildung (ATF) Bundestierärztekammer e.V. in Zusammenarbeit mit der Zoo Duisburg AG. Gießen. 85 S. : Ill., graph. Darst. ; 21 cm. ISBN 978-3-86345-200-1

Voller Text:

Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts war die Lebenserwartung vieler Zootiere gering und galt die Zucht vieler Tierarten noch als schwierig. Andererseits war der Bezug von Tieren aus der Natur damals noch vergleichsweise problemlos. Es gab noch keine einschränkenden Artenschutz- und nur minimale Veterinärvorschriften für den Wildtierhandel, die Zootiere vieler Arten stammten daher ausschließlich oder hauptsächlich aus der Wildbahn. Durch die Umsetzung der Prinzipien der von Heini HEDIGER 1942 begründeten wissenschaftlichen Disziplin der Tiergartenbiologie, den weitestgehenden Verzicht auf Einzeltierhaltung und die laufende Gewinnung neuer Erkenntnisse wurde die dauerhafte Haltung und Zucht vieler Tierarten, die früher als "nicht haltbar" gegolten hatten, plötzlich selbstverständlich. Die Zahl der Tierarten, die nach 1950 erstmals gezüchtet wurden, ist deshalb außerordentlich groß. 1952 wurde der erste Guereza in Menschenobhut geboren, 1954 das erste Okapi, 1956 folgten die Erstzuchten bei Flachlandgorillas und Brauner Hyäne, 1957 bei der Giraffengazelle, 1958 beim Lippenbären, 1960 beim Koala und der Schwarzfußkatze, 1962 beim Bonobo und 1963 bei Riesenpan-da und Nebelparder, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Die Wildtierhaltung bedurfte damals keiner Tierschutzgenehmigung. Dank Wirtschaftswun-der gab es viele neue Zoos und einen florierenden Tierhandel, und es bestanden keine Bedenken, Tiere an Zirkusse oder Privatleute abzugeben. Der Absatz der Jungtiere war daher leicht möglich. Es herrschte Freude über jede Geburt, die Zoos wollten möglichst viele Tiere züchten und zogen auch bedenkenlos verwaiste Jungtiere von Hand auf.

Die Zoos waren also ab den 1960er-Jahren in der Lage, Tiere der meisten Arten erfolgreich zu züchten und aufzuziehen. Mit der Zeit wurde es aber immer schwieriger, Nachzuchttiere an geeignete Haltungen abzugeben. Da immer mehr Zoos züchteten, kam es zu einer Bedarfssättigung. In Deutschland und der Schweiz wurde überdies die Nachfrage durch den Erlass von Tierschutzgesetzen gehemmt, die zu Recht forderten, dass, wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, dieses seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen muss. In der Schweiz kam die Pflicht einer an Bedingungen und Auflagen gebundenen Genehmigung für das Halten von Wildtieren in öffentlichen Einrichtungen und das Halten bestimmter Wildtiere durch Private hinzu. In Deutschland wurde die Tötung überzähliger Jungtiere erschwert durch § 17 des Tierschutzgesetzes, der als Voraussetzung für eine Tötung den Nachweis eines „vernünftigen Grundes“ verlangte. Auch die allgemeine Einstellung der verstädterten Bevölkerung zum Tier änderte sich, nicht zuletzt als Folge des Bambi-Trickfilms, der in Deutschland 1950 in die Kinos kam, und der Flipper-Serie, die ab 1964 im Fernsehen zu sehen war, und die sich beide durch eine stark vermenschlichende Sichtweise von Tieren auszeichneten. Bei Tierarten mit einem hohen emotionalen Stellenwert geriet daher jeder Todesfall zum Drama. Parallel dazu verbreitete sich ab 1970, ausgehend von der Universität Oxford die Tierrechtstheorie, die eine Tierrechtsbewegung auslöste, was sich in einer zunehmend kritischen Betrachtungsweise der Zoos und ihrer Handlungen äußerte. Dass einzelne an Tierhändler verkaufte Tiere ihre Karriere auf den Tellern von Gourmet-Restaurants beendeten, wird auch heute, 50 Jahre später, noch thematisiert.

Andererseits wurde der Nachschub aus der Wildbahn ab 1975 durch internationale Artenschutzregelungen und immer strenger werdende Veterinärvorschriften der EU zunehmend eingeschränkt. Die Zoos, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf einen vielfältigen Tierbestand angewiesen sind und ihren Tieren den essentiellen Verhaltenskreis der Fortpflanzung nicht vorenthalten wollen, sahen sich also mit dem Problem konfrontiert, eine Eigenversorgung aufzubauen und gleichzeitig die Zahl der nicht platzierbaren Jungtiere soweit als möglich zu minimieren. Dazu bedurfte es einerseits der Einrichtung gesamteuropäischer Erhaltungszuchtprogramme, andererseits der Erarbeitung von Entscheidungshilfen für die Regulierung von Zootierpopulationen durch die Zooverbände, wie sie etwa vom Verband Deutscher Zoodirektoren am 24. Juli 2008 in zweiter Auflage verabschiedet wurden.

Bereits 1905 war in den USA ein Zuchtbuch als Voraussetzung für die Erhaltung des Bisons geschaffen worden. 1932 wurde das erste Internationale Zuchtbuch veröffentlicht und unter die Schirmherrschaft des Internationalen Zoodirektorenverbandes (heute WAZA) gestellt, um den Wisent zu retten. Es folgten Internationale Zuchtbücher für das Urwildpferd (genehmigt 1959), die Asiatischen Wildesel (1961), Zwergflusspferd, Leierhirsch, Okapi, Gaur, Arabi-sche Oryx, Breitmaul-, Spitzmaul und Panzernashorn (1966), Bonobo, Gorilla, Orang-Utan und Tiger (1967), Vikunja und Pudu (1969). Erst 1971 kam mit dem Mandschurenkranich der erste Vogel und erst 1982 mit dem China-Alligator das erste Reptil zum Zuge.

Eine neue Dimension eröffnete sich in den 1980er Jahren, als die Zuchtbücher durch auf regionaler Basis betriebene Zuchtprogramme ergänzt wurden, zuerst 1981 durch den amerikanischen Species Survival Plan (SSP) und 1985 durch das Europäische Erhaltungszuchtpro-gramm (EEP). Währenddem es bei den Zuchtbüchern lediglich um das Sammeln von Daten ging, erlaubten die Zuchtprogramme ein aktives Management, mit der Zielsetzung, 90 % der genetischen Variabilität einer Zoopopulation über 100 Jahre oder, bei kurzlebigen Arten, über 200 Generationen hinweg zu erhalten und im Bedarfsfall Tiere für Wiederansiedlungen zur Verfügung zu stellen (SCHMIDT, 2011).

Weltweit führen die Zoos oder private Halterorganisationen heute rund 1800 internationale oder regionale Zuchtbücher und / oder betreiben regionale Zuchtprogramme für über 1'000 Tierarten. Unter der Schirmherrschaft des Weltzooverbandes (WAZA) wurden am 1.1.2013 126 aktive internationale Zuchtbücher für insgesamt 160 Arten oder Unterarten geführt. Unter dem Europäischen Zoo- und Aquarienverband (EAZA) bestehen (Stand März 2014) 190 Europäische Erhaltungszuchtprogramme (EEP) für 211 Arten oder separat gemanagten Unterarten, wovon 163 in einer höheren Gefährdungskategorie der Roten Liste eingereiht sind, und 198 Europäische Zuchtbücher (ESB) für weitere 201 Arten oder Unterarten, von denen 86 in einer höheren Gefährdungskategorie figurieren. Die Satzung und die Ethischen Richtlinien der WAZA verlangen, dass sich Mitglieder wo möglich an koordinierten Zuchtprogrammen beteiligen. EAZA-Mitglieder sollen sich an den EEP und ESB beteiligen.

82% aller von Zoos dem International Species Information System (ISIS) gemeldeten Neuzugänge an Säugetieren sind Nachzuchten, bei den Vögeln sind es 64 % und bei den Reptilien auch schon über die Hälfte. 49 Tierarten und einige Unterarten, die in der Natur ausgestorben sind oder waren, haben – die meisten dank koordinierter Zucht - in menschlicher Obhut überlebt. Etwa 20 davon konnten erfolgreich wieder in freier Wildbahn angesiedelt werden, z.B. Kalifornischer Kondor, Rotwolf, Schwarzfußiltis, Urwildpferd, Davidshirsch, Wisent, Arabische Oryx, Mendesantilope und Mhorrgazelle. Bei mindestens 200 lokal oder regional ausge-storbenen Arten wurden gezüchtete Tiere mit Erfolg für  Wiederansiedlungsprojekte verwendet, z.B. Zwergmaus, Europäischer Biber, Europäischer Nerz, Wildkatze, Luchs, Steinbock, Bartgeier, Weißstorch, Uhu, Europäische Sumpfschildkröte, Kammmolch oder Feldgrille.

Damit wäre eigentlich alles in Ordnung, und wir könnten „Nachhaltige Zucht“ als Tatsache und nicht, wie im Titel dieses Vortrags als „Zukunftsprojekt?“ bezeichnen. Leider stimmt das nicht ganz, es gibt nämlich verschiedene Probleme, die sich in Zukunft verschärfen werden.

  •  Ein EEP für Säugetiere umfasst im Mittel 128 lebende Individuen, die sich auf 27 Institutionen verteilen. Der Betrieb eines solchen Programms bedingt einen sehr hohen administrativen Aufwand. Programmkoordinatoren sind bisweilen überfordert und Programmteilnehmer nicht immer genügend kooperativ, um ein gutes Funktionieren der Programme zu gewährleisten. RÜBEL (2010) fordert deshalb eine Reduktion der intensiv bewirtschaft-ten europäischen Programme auf 100 und eine Konzentration auf weniger Zuchtstätten, die aber über größere Bestände verfügen sollten als heute.
  • Nach Untersuchungen von LEUS et al. (2011) sind manche Zoobestände so klein, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass sie aufgrund von Ereignissen, die den Gesamtbestand oder eine einzelne Zuchtstätte betreffen können, innerhalb der nächsten 100 Jahre aussterben. Dies betrifft 28 % der Säugetier- und 36 % der Vogelpopulationen, von denen weniger als 50 Individuen in europäischen Zoos gehalten werden.
  • Hinzu kommt, dass bei vielen Arten der Anteil der Individuen, die aktiv am Zuchtgeschehen teilnehmen, in 25 % der Säugetier- und 73 % der Vogelpopulationen unter einem Viertel des Bestandes liegt.
  • Bei 16% der Säugetier- und bei 37% der Vogelarten ist die Sterberate höher als die Geburtenrate.
  • 85% der Säugetier- und 94% der Vogelpopulationen gehen auf weniger als 30 Gründertiere zurück, was in der Regel den Erhalt von wenigstens 97.5 % der ursprünglichen genetischen Bandbreite über 100 Jahre nicht erlaubt.

Ein Teil dieser Probleme ist von den Zoos hausgemacht oder ist historisch vorgegeben. So führt z.B. die Abschottungspolitik der meisten EEP, die eine Teilnahme von Nicht-EAZA-Zoos oder von Privatpersonen nur in Ausnahmefällen zulassen, dazu, dass nur relativ wenige Tierplätze zur Verfügung stehen. Auch kann man die Zahl der Gründertiere nicht erhöhen, wenn die Art in der Wildbahn mittlerweile ausgestorben ist oder aus anderen Gründen keine Tiere mehr aus dem Freiland beschafft werden können.

Andere Hindernisse für eine nachhaltige Zucht sind aber durch das gesellschaftliche Umfeld oder die die Gesetzgebung bedingt.

Die Schlachtung des Giraffen-Jungbullen „Marius“ und die Tötung von vier Löwen aus Gründen des Populationsmanagements im Zoo Kopenhagen haben uns wieder einmal vor Augen geführt, wie sensibel die Öffentlichkeit auf die Tötung von Zootieren reagiert und wie der Volkszorn durch die sensationsorientierte Berichterstattung mancher Medien geschürt wird.

In Deutschland werden jährlich rund 50 Millionen domestizierte Huftiere und 600 Millionen Stück Hausgeflügel zur Verwertung getötet, 5,5 Millionen Stück Feder- oder Haarwild auf der Jagd erlegt, 200.000 Stück Gehegewild geschlachtet und 50 Millionen männliche Eintagsküken von Legerassen geschreddert oder vergast. Alles in allem werden weit über eine Milliarde Wirbeltiere aus mehr oder weniger vernünftigen Gründen absichtlich oder aber fahrlässig getötet, Fische nicht mitgerechnet. Das mag die kleine Gruppe der Tierrechtler aufregen, ist aber kein Thema in der Öffentlichkeit. Dass jedoch in den rund 600 deutschen Zoos jährlich schät-zungsweise 30-40.000 Tiere - Wildtiere, domestizierte Säugetiere (ohne Kaninchen und Nagetiere) und Hausgeflügel - ohne medizinische Indikation getötet und überwiegend im eigenen Betrieb als Tierfutter oder Nahrungsmittel verwertet werden, beansprucht viel Druckerschwärze und Sendezeit.

Die Problematik liegt bei der Wahrnehmung und der Kommunikation: manche Tierarten haben einen hohen emotionalen Stellenwert, Zootiere sind individuell bekannt und haben einen Namen, der Zoodirektor ist prominent und daher ein gutes Ziel für die Skandalpresse. Bei in der Natur bedrohten Arten wird nicht verstanden, dass das Töten von Tieren, die in der ex situ-Population überzählig sind, dem Überleben der Art nicht abträglich ist.

Im klassischen Griechenland führte XENOPHON im 4. Jahrhundert v. Chr. in Anlehnung an das Altpersische für Tiergärten die Bezeichnung παράδεισος ein. Offensichtlich sehen viele Menschen und Medien auch heute noch den Zoo als Paradies, in dem Tiere ein ewiges Leben haben. Dass Tiere auch im Zoo sterben, wird ausgeblendet. Besondere Empörung ruft hervor, wenn ein junges, gesundes Tier geschlachtet und verfüttert wird, auch wenn es den zumeist Fleisch essenden Fremdschämern nie in den Sinn käme, selbst ein steinaltes, krankes Tier zu essen, und sie verdrängen, dass das Schnitzel, das sie im Supermarkt kaufen von einem Schwein stammt, das im zarten Alter von etwa 270 Tagen „ermordet“ worden ist, oder dass ihr Brathähnchen ein „Hühnerbaby“ ist, das schon mit fünf Wochen sein Leben lassen musste.

Gar nicht als Paradies, sondern als Hölle wird der Zoo von Tierrechtlern und der Fraktion der Zoogegner innerhalb der Tierschützer gesehen. Diese wollen die Zoos zum Verschwinden bringen. Sie fordern immer größere Gehege und ein generelles Verbot der privaten Wildtierhaltung, wodurch die Zahl der Tierplätze verringert wird und die Bestände unter das kritische Minimum fallen. Sie wollen die prominentesten Arten aus den Zoos verbannen und nehmen in Kauf, dass diese „in Würde aussterben.“ Sie sind gegen eine „Breed and Cull“-Politik und verlangen, dass Zoos erst Tiere zur Paarung zulassen, wenn eine definitive Unterbringung für die prospektiven Nachkommen gewährleistet ist. Es ficht sie nicht an, dass dies gar nicht möglich ist, weil niemand weiß, welches Geschlecht die Jungtiere haben werden und wer in drei Jahren ein Tigerweibchen oder in sechs Jahren einen Elefantenbullen benötigt, oder weil bei vielen Arten die Jungenzahl enorm variiert, beim Afrikanischen Wildhund etwa von 2 – 20. Um sich nicht unzumutbarem Druck auszusetzen, der sich gelegentlich in Morddrohungen äußert, verzichten manche Zoodirektoren weitgehend oder ganz auf die Zucht bestimmter Tierarten und sehen davon ab, überalterte Tierbestände zu verjüngen. Kastrierte Tiere, die genetisch eigentlich tot sind, belegen daher wertvolle Tierplätze. Da die Lebenserwartung von Zootieren deutlich höher ist als im Freiland, werden die Zoos leicht zu Seniorenresidenzen, d.h. zu viele der knappen Tierplätze stehen postreproduktiven Tieren zur Verfügung.

Dabei stellt das Töten von Zootieren objektiv gar kein Tierschutz-Problem dar, wenn es verantwortungsbewusst gehandhabt wird: Löwen, Tiger, Wölfe fressen keine Möhren. Das Futterfleisch muss von irgendwoher kommen. Die Produktion von Fleisch von Zootieren im eigenen Betrieb ist aus Tier- und Umweltschutzgründen dem Ankauf von Fleisch aus dem Schlachthof vorzuziehen, denn die Tiere werden stress- und schmerzfrei in ihrer gewohnten Umgebung getötet, die Tötung erfolgt vorzugsweise an biologischen Schnittstellen, bei denen auch in der Natur die Sterblichkeit erhöht ist wie Geburt, Entwöhnung, Entlassung aus dem Familienverband, und der Verlust von Jungtieren ist bei Wildtieren weder für die Mütter noch für die Gruppen außergewöhnlich. Da Wildtiere Krankheitssymptome zu kaschieren versuchen, bleibt alten Tieren, die bei Nachlassen ihrer Kondition nicht eingeschläfert werden, langes Leiden oft nicht erspart. Es gibt kaum einen über 30 Jahre alten Bären, der nicht chronisch an Karies, Arthrosen, einer Nephropathie oder Leberzirrhose erkrankt ist (IPPEN et al., 1986).

Ein weiteres Problem sind Gesetzgeber, Behörden und Gerichte. Einerseits schreiben die Zoo-Richtlinie 1999/22/EG und das Bundesnaturschutzgesetz vor, dass die Zoos Maßnahmen zur ex situ Erhaltung treffen und die Tiere unter Bedingungen halten, die den biologischen und Erhaltungsbedürfnissen der Art Rechnung tragen. Auch die Nationale Strategie Deutschlands zur Biologischen Vielfalt führt als Maßnahme der Zoos auf: Erhaltung von Tierarten im Rahmen von EEP einschließlich Wiederansiedlungsprojekte.

Andererseits veröffentlicht das BMEL ohne zu erheben, wo tatsächlich Handlungsbedarf besteht, ein Säugetiergutachten, das in weiten Teilen nicht auf wissenschaftlicher Basis oder auf der Grundlage empirischer Evidenz sowie tierhalterischer und tierärztlicher Erfahrung beruht, sondern viele Mindestanforderungen an Gehegedimensionen enthält, die arbiträr, oft als Kompromiss zwischen überzogenen Forderungen der Vertreter der Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen und den auf tierhalterischer Erfahrung beruhenden Positionen der Zoovertreter, festgelegt wurden. Dies, ebenso wie die geplante konsequente Durchsetzung des Verbots, Vögel flugunfähig zu machen (DOLLINGER et al., 2014), wird die schon seit Jahren bestehende Schrumpfungstendenz der Zootierbestände beschleunigen und wird negative Auswirkungen auf die Erhaltungszuchtprogramme haben.

Eine andere Herausforderung stellt die Vorgabe des Artikels 17 TierSchG dar, wonach Tiere nicht ohne vernünftigen Grund getötet werden dürfen. Der „vernünftige Grund“ ist als Kriterium eigentlich unvernünftig, weil vernünftiges Handeln stets auf der individuellen Lebenserfahrung beruht und daher nicht objektivierbar ist. Ein kurzer Blick in die Geschichte zeigt, dass gesellschaftliche Akzeptanz bisweilen mit Vernunft wenig bis gar nichts zu tun hat. Dass sich der Staat in Deutschland herausnimmt, dem mündigen Bürger vorzuschreiben, was er als vernünftig anzusehen hat, lässt sich daher mit dem Verständnis, dass der Mensch ein vernunftbegabtes Individuum ist, kaum in Einklang bringen. Es ist schwer nachzuvollziehen, dass ein Richter einen Zoodirektor mitsamt Mitarbeitern verurteilt, der nach sorgfältiger Abwägung aller Gründe im Rahmen einer betriebsinternen Ethikkommission, nach Konsultation der einschlägigen Zooverbände, des internationalen Zuchtbuchführers und des europäischen Zuchtkoordinators, sowie vorheriger Information des Oberbürgermeisters und des Amtstierarztes drei neugeborene Tiger-Unterarthybriden hat töten lassen. Wenn man dann der Begründung entnimmt, man hätte die Tiere noch zwei Jahre leben lassen sollen und es hätte keine Rolle gespielt, wenn die an Zoos nicht vermittelbaren Tiere dann an einen Zirkus oder nach China gegangen wären, wirkt das Urteil völlig grotesk (HILDEBRANDT et al., 2012). Dass ein Richter qua officio vernünftiger ist als ein halbes Dutzend Zooleute mit Hochschulabschlüssen in Biologie oder Veterinärmedizin darf man wohl in Frage stellen.

Die Gewinnung von Fleisch oder von Tierfutter wird in aller Regel als vernünftiger Grund für die Tötung von Tieren akzeptiert. Als Folge der BSE-Krise war allerdings das Verfüttern von Zootieren an Zootiere auf Grund der Verordnung (EG) 1774/2002 verboten. Immerhin realisierte man in Brüssel, dass das Verfüttern von ganzen Tierkörpern an Zootiere, die ihrerseits nicht in den menschlichen Nahrungskreislauf gelangen, kein Risiko für die öffentliche Gesundheit darstellt, und hob mit der Verordnung (EG) Nr. 1069/2009 vom 21. Oktober 2009 mit Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte das Verfütterungsverbot mit Wirkung auf den 4. März 2011 wieder auf.

Wenn eine nachhaltige Zucht im Zoo auch in Zukunft möglich sein soll, muss sich die Gesellschaft darüber im Klaren sein und akzeptieren, dass Erhaltungszucht stets auf einer Überschussproduktion beruhen muss. In der Natur werden wesentlich mehr Tiere geboren, als für die Arterhaltung notwendig sind. Wo geboren wird, wird aber auch gestorben. Dies ist erforderlich für das Aufrechterhalten des ökologischen Gleichgewichts und des Nahrungskreislaufs und ist der Motor der Evolution. Auch Erhaltungszucht im Zoo funktioniert nur, wenn mehr Tiere geboren werden, als man für die Zucht benötigt. Produktion auf den Punkt ist nicht möglich und auch ein Zoo muss selektieren können. Die Zoos bemühen sich zwar, zumindest bei Arten, die Emotionen wecken, die Zahl der nicht-platzierbaren Tiere gering zu halten. Sie stoßen aber an Grenzen: Geschlecht und bei vielen Arten Wurfgröße sind nicht vorhersehbar, bei Zuchtunterdrückung können Sterilität und soziale Dysharmonie auftreten. Weil im Zoo viele Risiken ausgeschaltet wurden, sterben nur wenige Jungtiere aus natürlichen Ursachen, ohne Interventionen verkommt aber die Alterspyramide zum Pilz und der Bestand stirbt aus demographischen Gründen aus.

Nachdem der Staat die Zoos verpflichtet, Erhaltungszucht zu betreiben, müsste das Töten von für die Zucht nicht verwendbaren, überzähligen Tieren als vernünftiger Grund gelten. Dies umso mehr, als Artikel 20a des Grundgesetzes, der oft für das Argument herhalten muss, Tierschutz hätte Verfassungsrang und habe daher Priorität gegenüber dem Artenschutz, eigentlich kein Tierschutz- sondern ein Arten- und Populationsschutzartikel ist. Denn er lautet: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung ….“. Eine Spitzmaus mit einer mittleren Lebenserwartung von 15 Monaten, oder einen Tiger, der vielleicht 15 Jahre alt wird, kann man als Individuen gar nicht für künftige Generationen schützen, das geht nur, wenn man Tiere nicht als Individuen, sondern als Populationen begreift.

Literatur und Internetquellen:

  • Dollinger, P. (2012) Zucht und Aufzucht. In: Dollinger, P. (Red. 2012) Gärten für Tiere - Erlebnisse für Menschen: Die Zoologischen Gärten des VDZ. J.P. Bachem Verlag, Köln. ISBN 978-3-7616-2555-2.
  • Dollinger, P., Pagel, T., Baumgartner, K., Encke, D., Engel, H. & Filz, A. (2014) Flugunfähigmachen von Vögeln – Für und Wider. Der Zoolog. Garten 82 (2013), pp. 293-339.
  • Hediger, H. (1942) Wildtiere in Gefangenschaft. Ein Grundriss der Tiergartenbiologie. Verlag Benno Schwabe, Basel.
  • Hildebrandt, G., Perret, K., Eulenberger, K., Junhold, J. & Luy, J. (2012) Individualtierschutz contra Arterhaltung - Das Dilemma der überzähligen Zootiere. Schüling Verlag, Münster. ISBN 978-3-86523-213-7.
  • Ippen , R. & Henne, D. (1986) Obduktionsbefunde bei Bären (Procyonidae, Ailuridae und Ursidae). VISZ 28: 89-98.
  • Leus, K., Bingaman Lackey, L., van Lint, W., de Man, D., Riewald, S. Veldkam, A. & Wijmans, J. (2011) Sustainability of European Association of Zoos and Aquaria Bird and Mammal Populations. WAZA Magazine 12: 11-14.
  • Rübel, A. (2010) Die Aufgaben der Zoos und die Arterhaltungsprogramme, eine kritische Sicht. In: Dollinger, P. (Hrsg.) Die Rolle der Zoos für die Erhaltung der Biodiversität. Verhandlungsbericht IV. Rigi-Symposium, 28.-30. Jan. 2010: 49-50. Zoo Office Bern.
  • Schmidt, C. R. (2010) Zuchtprogramme, ein Meilenstein der Tiergartenbiologie. In: Dollinger, P. (Hrsg.) Die Rolle der Zoos für die Erhaltung der Biodiversität. Verhandlungsbericht IV. Rigi-Symposium, 28.-30. Jan. 2010: 51-54. Zoo Office Bern.
  • EAZA: www.eaza.net;     ISIS: www2.isis.org;     VDZ: www.zoodirektoren.de

Anschrift des Verfassers:

Dr. Peter Dollinger, Zoo Office Bern, Postfach 23, CH-3097 Liebefeld,
Email: zoo_office@bluewin.ch

 

dollinger-biblio

Gelesen 14707 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 11 März 2021 07:48
© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx