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LÜHRS, M-L. (2012)

Soziale Organisation und Paarungssystem der Fossa (Cryptoprocta ferox).

Social organisation and mating system of the fossa (Cryptoprocta ferox).

Dissertation

102 Seite

Ganze Arbeit

Georg-August-Universität Göttingen
Leitung: Prof. Dr. Peter M. Kappeler
Zoo Duisburg

Zusammenfassung:

Die Diversität der Sozialsysteme lässt sich auf die Interaktion von geschlechtsspezifischen Fortpflanzungsstrategien und sozialer Organisation zurückführen, welche ihrerseits durch ökologische Faktoren bestimmt sind. Innerhalb der Säugetiere haben die Raubtiere (Ordnung Carnivora) eine Vielzahl an verschiedenen Sozialsystemen entwickelt. Arten dieser Ordnung sind deshalb besonders geeignet, die Determinanten von Sozialsystemen zu untersuchen. Große Streifgebiete, geringe Populationsdichte und eine vorherrschend solitäre Lebensart haben jedoch bisher direkte detaillierte Untersuchungen erschwert. In der vorliegenden Arbeit habe ich deshalb das Sozialsystem einer solitären Raubtierart, der Fossa (Cryptoprocta ferox), untersucht, welche in der Isolation Madagaskars ein unter Säugetieren einzigartiges Paarungssystem sowie eine seltene Form sozialer Organisation entwickelt hat. Fossas gehören zur endemischen Familie der Madagaskar‐ Mangusten (Eupleridae) und werden 6‐11 kg schwer. Ihr Paarungssystem zeichnet sich durch auffällig gesteigerte weibliche Promiskuität aus, welche auf traditionellen Paarungsbäumen zu beobachten ist. Das Hauptziel der vorliegenden Arbeit war es, die diesem System zugrundeliegenden Fortpflanzungsstrategien zu verstehen. Dazu habe ich mich auf die mögliche Motivation weiblicher Polyandrie, Muster prä‐kopulatorischer Weibchenwahl sowie die Mechanismen von Konkurrenz unter Männchen fokussiert. Bezüglich der sozialen Organisation der Fossa war es ein weiteres Ziel dieser Arbeit, Muster, Determinanten und Konsequenzen von anekdotisch beschriebenen Männchen‐Assoziationen empirisch zu untersuchen und damit Rückschlüsse auf die diesem seltenen Phänomen zugrundeliegende evolutionäre Faktoren ziehen zu können.

Die Datenaufnahme erfolgte in fünf mehrmonatigen Feldaufenthalten zwischen 2007 und 2010 in Kirindy/CNFEREF, Madagaskar. Dort habe ich 34 Fossas (25 Männchen, 9 Weibchen) gefangen, betäubt, vermessen und markiert und ihnen Haar‐ und Gewebeproben entnommen. Neun Männchen und vier Weibchen wurden mit GPS‐Halsbändern ausgestattet, welche zum Teil simultan Informationen über Bewegungsmuster, Streifgebietsgröße und Geselligkeit der betreffenden Individuen lieferten. Die Kombination dieser räumlichen Daten mit gleichzeitig gemessener Information zur Beschleunigung des Halsbandes am Tier sowie Nahrungsanalysen anhand stabiler Isotope aus Haarproben erlaubten es erstmals, kooperative Jagd unter assoziierten Männchen indirekt zu quantifizieren. Anhand von 16 polymorphen Mikrosatellitenmarkern bestimmte ich außerdem die verwandtschaftlichen Beziehungen innerhalb der Studienpopulation mit besonderem Fokus auf die Verwandtschaft assoziierter Männchen. Um Paarungsstrategien von Männchen und Weibchen im Detail zu untersuchen, habe ich kontinuierlich die Paarungsaktivität von sechs Weibchen an vier verschiedenen Paarungsbäumen verfolgt und in über 540 Stunden 316 Kopulationen beobachten können. Diese Beobachtungen erlaubten detaillierte Aufschlüsse über die Determinanten des Paarungserfolgs der Männchen, den Grad der Polyandrie sowie über die Mechanismen prä‐kopulatorischer Weibchenwahl.

Bezüglich der sozialen Organisation der Fossa zeigt die vorliegende Arbeit, dass Weibchen streng solitär sind und Anzeichen für Territorialität zeigen. Die Streifgebiete von Männchen (Ø 53,1 km2) sind etwa dreimal so groß wie die der Weibchen (Ø 17,8 km2) und weisen ausgeprägte interund intrasexuelle räumliche Überlappung auf. Während manche Männchen ebenfalls solitär leben, bildet etwa die Hälfte der adulten Männchen in der untersuchten Population (10 von 22) zeitlich und räumlich stabile Assoziationen. Diese sozialen Einheiten bestehen aus bis zu drei Tieren, die vorwiegend Wurfgeschwistern sind (4 von 5 Assoziationen). Assoziierte Männchen weisen weiterhin 102 bedeutende Unterschiede zu solitären Männchen in Morphologie und Verhalten auf. Im Gegensatz zu solitären Männchen werden sie (1) 13% größer und 38% schwerer, (2) jagen kooperativ, (3) jagen vorwiegend große Beutetiere (tagaktive Lemuren Propithecus verreauxi verreauxi und Eulemur rufifrons) und (4) haben größeren Paarungserfolg. Assoziierte Männchen scheinen jedoch kein Territorium zu verteidigen und können den Zugang zu Weibchen nicht monopolisieren. Stattdessen scheint die physische Überlegenheit dieser Männchen besonders bei der Störung der Paarungen anderer Männchen von Vorteil zu sein. Weiterhin hat diese Arbeit gezeigt, dass Weibchen trotz ausgeprägtem Sexualdimorphismus in der Körpergröße im Paarungskontext über alle Männchen dominant sind. Das Paarungsverhalten der Weibchen deutete auf indirekte Präferenz der Weibchen für schwerere und damit assoziierte Männchen hin. Assoziierte Fossa‐Männchen sind also sowohl in Hinblick auf Konkurrenz unter Männchen als auch bei der Weibchenwahl bevorteilt.

Insgesamt erlaubt die vorliegende Arbeit vier grundlegende Schlussfolgerungen bezüglich des Sozialsystems der Fossa. (1) Die soziale Organisation der Fossa ist grundlegend solitär mit fakultativer Sozialität unter Männchen. (2) Assoziierte Männchen sind den solitär organisierten Artgenossen körperlich überlegen, was vermutlich auf deren kooperative Jagd zurückzuführen ist. (3) Das Gewicht und damit die Sozialität eines Männchens bestimmt dessen Paarungserfolg. (4) Polyandrie bei Fossas ist nicht das Ergebnis sexueller Repression durch Männchen, sondern scheint vielmehr von dem Interesse der Weibchen an Mehrfachverpaarungen bestimmt zu sein. Eine ultimate Erklärung dieses einzigartigen Paarungssystems scheint also in einer Kombination aus indirekten Vorteilen der Polyandrie und den Folgen männlicher Jagdstrategien begründet zu sein. Die detaillierte Beschreibung der spezifischen Wechselwirkung zwischen Männchen‐Sozialität und indirekter Weibchenwahl bei Fossas erweitert damit unser Verständnis über die sozioökologischen Determinanten von Sozialsystemen.

Abstract:

Mammalian mating systems are closely related to the social organisation of a species, which in turn is determined by sex‐specific selection pressures with respect to access to limited resources. In previous studies of solitary carnivores, mating systems have often been described based on social organisation or molecular evidence alone, due to difficulties of observing mating behaviour in farranging species with low population densities. In the present study, I combined spatial data collected via modern GPS technology with detailed behavioural and genetic data on a solitary carnivore, the fosa (Cryptoprocta ferox). The fosa is a Madagascar mongoose (Eupleridae) of medium size (6‐11 kg body mass), which exhibits a unique mating system involving prolonged polyandrous mating activity on traditional mating trees. The main aim of this thesis was to illuminate determinants of this unusual system with a specific focus on the underlying sex‐specific reproductive strategies and thereby contributing new insights into our general understanding of the incentives of female polyandry, the operation of pre‐copulatory female choice and male competitive tactics as well as the evolution and diversity of mammalian mating systems. Moreover, anecdotal evidence indicated the existence of male associations along with solitary males and females and cooperative hunting behaviour of these male associations. Therefore, a specific focus of this thesis was to investigate the occurrence, patterns and consequences of this rare phenomenon in mammals. By focussing on the interplay of the species’ social organisation with male associations and sex‐specific mating strategies, I further aimed to draw conclusions on factors driving the evolution of the fosa’s social system as a whole.

From 2007 to 2010, I trapped, anaesthetised, sampled and took measurements of 34 fosas (25 males, 9 females) in Kirindy Forest/CNFEREF, Madagascar. Nine males and four females could be partially tracked simultaneously by means of GPS tags embedded in collars, which provided detailed insight into movement patterns, ranging area and degree of sociality of these individuals. To investigate correlates and consequences of male association, I combined body acceleration data obtained from accelerometry‐sensors in collars with spatial information of simultaneous tracking and stable isotope analyses of hair samples to indirectly detect the occurrence of cooperative hunting among associates. Furthermore, I used genetic analyses based on 16 variable microsatellite markers to determine relatedness patterns in the population and specifically the degree of relatedness among associated males. During the seasonal mating periods of four successive years, I followed six oestrous females during their complete mating activity, collecting 540 hours of continuous observation including information on 316 copulations on four different mating trees. These data allowed elucidating determinants of male mating success, the degree of polyandry and patterns of female pre‐copulatory choice.

This combination of multiple methodological approaches yielded several major results. First, females ranged solitarily and showed indications of territoriality. Males had three times larger ranges (Ø 53.1 km2) than females (Ø 17.8 km2) and spatially overlapped extensively with females and males. Second, whereas some males ranged solitarily, 10 of 22 adult males trapped were organised in temporally stable associations that were most often composed of littermates (four out of five adult dyads). Third, associated males differed in several characteristics from solitary males; they were (1) 13% larger and 38% heavier at comparable age, (2) hunted cooperatively, (3) used larger prey types more often (diurnal lemurs Propithecus verreauxi verreauxi and Eulemur rufifrons), and (4) had higher mating success. Associated males neither defended territories nor exclusive excess to 100 oestrous females. Instead, their physical superiority appeared to be of advantage in the termination of matings of rival males. Fourth, females dominated males regardless of their physical dissimilarity and actively sought polyandrous matings. Fifth, females indirectly chose physically superior, i.e. associated males, by enhancing male‐male contest and temporally restricted intervention in its outcome. Hence, associated males gained two‐fold benefit with respect to male and female mating strategies.

Overall, these results allow four major conclusions concerning the fosa’s social organisation and mating system. First, the species’ basic social organisation can be characterised as solitary but a high proportion of males forms spatially and temporally synchronised social units. Second, associated males achieve higher body mass and size than solitary individuals, which is most likely fuelled by effective cooperative hunting. Third, male body mass and thereby a male’s degree of sociality are major determinants of male mating success. Fourth, concerning the mating system of the fosa, convenience polyandry can be excluded as most likely driver in the system. Instead, this mating system appears to be ultimately explained by a combination of benefits from polyandry and the consequences of different subsistence strategies. This interplay of male sociality and female preference for superior competitors provides an important reference for future socio‐ecological research.

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© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx