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LANGER, S. (2014)

Etablierung einer Injektionsnarkose mit Ketamin und Medetomidin für die Fossa (Cryproprocta ferox).

Establishment of an anesthesia protocol for the fossa (Cryptoprocta ferox) with the use of ketamine and medetomidine.

Dr. med. vet. Dissertation

129 Seiten

Ganzer Text

Fachbereich Veterinärmedizin, Justus-Liebig-Universität Gießen
Leitung: Prof. Dr. Sabine Tacke
Zoo Duisburg

Zusammenfassung:

In dieser Studie wurde erstmals ein modernes, tierart- und tierschutzgerechtes Anästhesie-verfahren für Madagaskars größtes Raubtier, die Fossa (Cryptoprocta ferox), untersucht. Dafür wurden 19 Fossas, davon 13 männliche und 6 weibliche, in vier deutschen zoologischen Einrichtungen und einer Privathaltung mit einer Kombinationsanästhesie aus Medetomidin und Ketamin narkotisiert. Die Untersuchungen wurden unter weitestgehend standardisierten Bedingungen und unter Berücksichtigung möglicher geschlechts- und altersspezifischer Unterschiede durchgeführt. Ursprünglich sollte außerdem eine vergleichbare Anzahl an Fossas im Freiland auf Madagaskar mit Fallen gefangen und ebenso narkotisiert und anschließend mit der Gruppe in Deutschland in menschlicher Obhut verglichen werden. Aufgrund von Restriktionen durch die Behörden auf Madagaskar musste die Fangaktion vor Ort vorzeitig abgebrochen werden, sodass nur ein Fossaweibchen unter Feldbedingungen untersucht werden konnte. Die Fossas in Deutschland wurden mit dem Kescher gefangen und fixiert und erhielten für die jeweils geschätzte Körpermasse eine Dosierung von 0,06 mg/kg Medetomidin und 2 mg/kg Ketamin per Handinjektion in die Oberschenkelmuskulatur. Zehn Tiere waren unter drei Jahre alt und somit noch nicht geschlechtsreif, die übrigen neun waren 4 bis 18 Jahre alt. Die Körpermasse wurde im Durchschnitt um ± 1 kg genau geschätzt, sodass sich eine durchschnittliche Ketamin-Dosis von 2,245 ± 0,248 mg/kg und eine Medetomidin-Dosis von 0,063 ± 0,008 mg/kg ergaben. Die Fossas dieser Studie wiesen einen ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus auf, wobei die Männchen deutlich größer und schwerer waren als die Weibchen. Die durchschnittliche Körpermasse einer adulten männlichen Fossa betrug 12,34 kg und diejenige eines adulten Weibchens 8,60 kg. Die Einschlafphase verlief bei allen Fossas ruhig, gleichförmig und exzitationslos. Die Zeitspanne zwischen der Injektion der Anästhetika und der Beobachtung eindeutiger erster Anzeichen der Wirkung lag bei allen Tieren unter 10 Minuten. Trat nach 20 Minuten keine zufriedenstellende Anästhesietiefe ein, wurde die Hälfte der applizierten Ketamin-Dosis nachdosiert. Dies war bei drei Tieren der Fall. Allerdings wurden diese auch gewichtsmäßig um über 1 kg unterschätzt, sodass die anfängliche Dosierung nicht ausreichte und 1 mg/kg Ketamin für das Schätzgewicht nachdosiert werden musste. Die durchschnittliche Dauer der Einleitungsphase lag bei 14,42 ± 6,39 Minuten, wobei die drei nachdosierten Tiere zu entsprechend hohen Werten geführt haben. Während der Toleranzphase traten keine Komplikationen oder unerwünschte Nebenwirkungen auf. Die mittlere Dauer der Toleranzphase von 40,16 ± 7,89 Minuten ließ genügend Zeit für allgemeine und weiterführende Diagnostik, Messungen und Probennahmen auch unter Feldbedingungen. In 5-Minuten-Intervallen wurden die Daten der Anästhesieüberwachung notiert. Das klinische Monitoring umfasste dabei die Beurteilung der Schleimhautfarbe und kapillären Rückfüllungszeit, Reflexaktivität, Muskeltonus, Narkosetiefe und Analgesie. Mit Hilfe eines transportablen Narkosemonitors konnten Herzfrequenz, Atemfrequenz, periphere Sauerstoffsättigung und Körperinnentemperatur ständig überwacht werden. Zu Beginn und zum Ende der Toleranzphase wurde jeweils eine venöse Blutprobe mit dem transportablen Blutgasanalysegerät i-STAT® untersucht. Alle Tiere wurden gewogen, allgemein untersucht und erhielten eine Ultraschalluntersuchung von Herz, Nieren, Blase und Geschlechtsorganen. Außerdem wurde venöses Blut für eine hämatologische und biochemische Untersuchung entnommen. Die Toleranzphase wies eine zufriedenstellende Narkosetiefe mit guter Muskelrelaxation auf. Ein chirurgisches Toleranzstadium wurde nicht erreicht. Die Schleimhautfarbe wurde bei sechs Fossas als blass, sonst als rosa beurteilt, die KRZ war stets unter 2 Sekunden. Der Zwischenzehenreflex war stets vollständig erloschen und Lid- und Kornealreflex waren zu Beginn der Narkose im Durchschnitt am wenigsten gedämpft und nach 10 Minuten waren sie bei den meisten Tieren mittel- bis hochgradig gedämpft. Der Kiefertonus war bei fast allen Fossas im gesamten Anästhesieverlauf hochgradig gedämpft und ungefähr die Hälfte der untersuchten Tiere war im gesamten Zeitverlauf intubationsfähig. Allerdings traten unwillkürliche Zuckungen der Muskulatur gerade bei Manipulation bei fast allen Tieren auf. Die Herzfrequenz lag im Mittel bei 110,25 bis 115,94 Schlägen/min, was tendenziell im Vergleich zu den Körpermassen unter Berücksichtigung der Formel: 241 x Mb-0,25 , (Mb = Köpermasse in kg) (Heard 2007) als zu niedrig gewertet werden kann. Eine Bradykardie entsteht meist unter dem Einfluss von α2-Agonisten. Die mittlere Atemfrequenz der Fossas lag bei 25,34 - 34,93 AZ/min und nahm im Verlauf der Anästhesie statistisch hoch signifikant ab (p=0,0001), obwohl zu keinem Zeitpunkt bei keinem Tier eine bedenkliche Atemdepression erzeugt worden ist. Die Sauerstoffsättigung der Fossas lag im Durchschnitt zwischen 88,82 und 92,70% und nahm statistisch signifikant (p=0,016) vom Beginn der Narkose bis zur Antagonisierung zu. Die Körperinnentemperatur fiel im Verlauf der Anästhesie von durchschnittlich 38,70°C zu Beginn auf durchschnittlich 37,95°C am Ende ab.  
Bei keiner Fossa kam es zu kritischen Veränderungen der Blutgase, Elektrolyte oder des Säure-Basen-Status. Auch wenn lediglich venöse Blutproben untersucht worden sind, konnte keine nennenswerte Einschränkung der Atemfunktion und der Ventilation festgestellt werden. Die Fossas zeigten zu Beginn der Anästhesie eine stressbedingte metabolische Azidose mit erniedrigtem HCO3-, kompensatorisch erniedrigtem pCO2 und somit auch erniedrigtem TCO2, die sich im Anästhesieverlauf wieder normalisierte. Außerdem zeigten die Tiere eine Tendenz zur Hyperkaliämie und eine durch Stress und Anästhetika induzierte Hyperglykämie, auch der Hämatokrit nahm im Anästhesieverlauf signifikant ab.
Die Erholungsphase war schnell und komplikationslos nach der Antagonisierung des Medetomidins mit Atipamezol in 5-facher Dosierung des verabreichten Medetomidins. Sieben der 19 Fossas hoben bereits beim Umlagern vom Untersuchungstisch in die Aufwachbox oder bei der Applikation des Antagonisten den Kopf an und im Durchschnitt wurde der Kopf bei allen Fossas nach 2,63 ± 3,04 Minuten angehoben.
Bemerkenswert sind die in dieser Studie festgestellten Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Fossas. Männchen scheinen auf die applizierten Anästhetika deutlich empfindlicher zu reagieren als Weibchen. Nach der Applikation von Ketamin und Medetomidin trat die Wirkung bei männlichen Fossas statistisch signifikant früher ein als bei weiblichen. Die Einschlafphase einer männlichen Fossa insgesamt dauerte im Durchschnitt 11,64 ± 1,39 Minuten und war damit signifikant kürzer als die einer weiblichen Fossa mit 20,46 ± 2,09 Minuten. Die weiblichen Fossas schliefen also langsamer ein als die Männchen und wachten auch schneller wieder auf: Die Weibchen hoben im Durchschnitt den Kopf nach nur 0,60 ± 1,39 Minuten und damit viel früher als die Männchen mit 2,55 ± 1,25 Minuten. Männliche Fossas versuchten durchschnittlich nach 26,38 ± 2,18 Minuten zu laufen, weibliche schon nach 11,47 ± 2,60 Minuten. Außerdem wurde die Narkosetiefe bei den Männchen tendenziell eher als „gut“ und bei den Weibchen eher als „ausreichend“ bewertet.
Die in dieser Studie gewonnenen Daten belegen, dass die Kombination aus dem α2-Agonisten Medetomidin und dem dissoziativen Anästhetikum Ketamin bei der Fossa in der verwendeten Dosierung zu einer verlässlichen, effektiven und teilweise antagonisierbaren Anästhesie führt, die sich besonders für klinische Untersuchungen, bildgebende Diagnostik, Mikrochipimplantation, Blutentnahme, Transporte, kleine chirurgische Eingriffe, Messungen sowie Probennahmen auch unter Feldbedingungen eignet. Diese Kombinationsanästhesie war gekennzeichnet durch eine ruhige Einschlaf- und schnelle Aufwachphase und das Monitoring lieferte die klinische Sicherheit.

Abstract:

With this study a modern species-specific anesthesia protocol was developed for the first time for Madagascar´s largest extant carnivore the fossa (Cryptoprocta ferox). 19 fossas, of which 13 males and 6 females, living at four zoological gardens and with one private holder in Germany were anesthetized with the combination of medetomidine and ketamine. The experiment was carried out under predominantly standardized conditions and possible sex- and age-related differences were taken under consideration. Originally it was planned to trap and anesthetize an according number of animals under field conditions on Madagascar and to compare the results with the group of captive animals. Because of governmental restrictions fossa-trapping on Madagascar had to be cancelled ahead of schedule, resulting in only one female animal being examined under field conditions. The fossas in Germany were net-restrained within their enclosure and subsequently anesthetized by hand-injection into the thigh muscles with 0.06 mg/kg medetomidine and 2 mg/kg ketamine according to the individually estimated body weight. Ten animals were 1-3 years of age and sexual immature, the remaining nine animals were 4 to 18 years old. Body weight estimation was only ranging ± 1kg on average, leading to actual dosages of 0.063 ± 0.008 mg/kg medetomidine and 2.245 ± 0.248 mg/kg ketamine. The fossas within the study group exhibited a distinctive sexual dimorphism with males being considerably larger and heavier than females. The mean body weight of an adult male was 12.34 kg compared to 8.60 kg for an adult female. Induction was smooth, even and without excitations. The period between injection and onset of anesthesia was less than 10 minutes within all animals. Half of the original ketamine dose was additionally administered after 20 minutes, if anesthesia failed to be deep enough. This was necessary for three animals, whose actual body weights had been underestimated by more than 1 kg and thus were markedly underdosed. An additional dose of 1 mg/kg ketamine for the estimated weight had to be administered. Mean induction time was 14.42 ± 6.39 minutes, with those three animals in need of an additional amount being responsible for the correspondent high values. No complications or side effects occurred during tolerance phase. The mean tolerance phase lasted 40.16 ± 7.89 minutes and left enough time for general and further diagnostics, measurements and sample collection also under field conditions. Data of the anesthetic protocol were collected in 5-minutes-intervals. General monitoring included observation of mucous membrane color, evaluation of capillary refill time, reflex activity, muscle relaxation, anesthetic depth and analgesia. Heart rate, respiration rate, peripheral oxygen saturation and body temperature were constantly measured using a transportable patient monitor. A venous blood sample was analyzed by the mobile blood gas analyzer i-STAT® at the beginning and at the end of the tolerance phase. All animals underwent weight measurement, a general examination and an ultrasound examination of the heart and the urogenital system. Moreover, additional venous blood samples were obtained for hematology and biochemical analyses. Anesthetic depth was satisfactory during tolerance phase with good myorelaxation. A surgical depth was not achieved. Mucous membrane color was evaluated as pale in six fossas, but in the remaining 13 it was evaluated as rose and capillary refill time was always under 2 sec. The pedal reflex was always ceased. Palpebral and corneal reflex were least muted at the beginning of anesthesia, after 10 minutes they were moderately to severely diminished. Muscle tone in the jaw was in almost every fossa profoundly damped during the whole anesthetic process and approximately half of the group was intubationable during the full tolerance phase. Minor involuntary arousals occurred in most animals, especially due to manipulation. Mean heart rate was 110.25 to 115.94 bpm, which is by trend too low in relation to the body weights, regarding Heard`s (2007) formula: 241 x Mb-0,25 (Mb = body weight). Bradycardia mostly emerges from the use of alpha-2-agonists. Mean respiration rate was 25.34 – 34.93 breaths/min and decreased statistically significant during anesthesia (p=0.0001), though no critical respiratory depression occurred in any animal. The fossas displayed an average peripheral oxygen saturation between 88.82 and 92.70% that increased statistically significant (p=0.016) from the beginning of the tolerance phase to antagonization. Body temperature decreased during the anesthetic process from mean 38.70°C at the beginning to mean 37.95°C at the end.  
Critical changes in blood gas values, electrolytes or acid-base-status were not observed in any fossa. Although only venous blood samples had been examined, no noteworthy reduction of the function of the respiratory tract or ventilation had been determined. The fossas showed a stress-related metabolic acidosis at the beginning of the tolerance phase, with a decreased HCO3- and a compensatory reduced pCO2 and thus also a reduced TCO2. This metabolic acidosis normalized during the process. Moreover, the animals exhibited a tendency to hyperkalemia, a stress- and anesthetic-related hyperglycemia and the packed cell volume decreased also significantly during the process.
After application of atipamezole at 5-times the dosage of the administered medetomidine recovery was quick and uneventful. 7 of the 19 fossas raised their head already at the time of atipamezole administration or during the relocation from the examination table into the recovery box. Mean head raising occurred after 2.63 ± 3.04 minutes.
The sex-related differences determined in this study are remarkable. Male fossas appear to react more sensitive to the administered anesthetics than females. After the application of medetomidine and ketamine the anesthetic effect occurred statistically significant earlier in males than in females. Mean induction time of a male fossa lasted 11.64 ± 1.39 minutes and was hence statistically significant shorter than the mean induction time of a female fossa with 20.46 ± 2.09 minutes. Thus, females fell asleep more slowly and woke up faster than males. Female mean head raising was after 0.60 ± 1.39 minutes and therefore much earlier than male head raising after 11.47 ± 2.60 minutes. Moreover, anesthetic depth in males was rated tendentially rather “good” and in females rather “adequate”.
The data gained with this study show that the combination of the alpha-2-agonist medetomidine and the dissociative anesthetic ketamine leads to a reliable, effective and partly antagonizable anesthesia in fossas suitable for general examinations, diagnostic imaging, microchip-implantation and sample collection even under field conditions. Medetomidine-ketamine anesthesia was characterized by a smooth onset and quick recovery and the monitoring indicated that the immobilization is physiologically sound.

 

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© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx