Haltungsbedingungen

Flugunfähigmachen

Flugunfähig gemachte Pelikane auf großer, naturnaher Anlage im Tierpark Bern Flugunfähig gemachte Pelikane auf großer, naturnaher Anlage im Tierpark Bern
RANDO

Die seit Jahrhunderten geübte Praxis, Vögel durch Abtrennen der einen Flügelspitze oder durch einseitiges Stutzen der Armschwingen am Wegfliegen zu hindern, steht unter zunehmender Kritik von Tierrechtlern und Tierschützern. In Deutschland ist das Flugunfähigmachen durch chirurgische Eingriffe verboten. Wer sich von einer emotionalen Betrachtungsweise löst, wird allerdings feststellen, dass das Flugunfähigmachen durch geeignete Methoden bei manchen Vogelarten durchaus vertretbar ist oder sogar Vorteile für den gehaltenen Vogel haben haben kann.

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Großvoliere für Störche im Saupark Springe, erlaubt den Vögeln zu fliegen, wäre aber vielfach nicht winterfest © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Eine Übernetzung des Afrika-Panoramas im Tierpark Hagenbeck wäre aus Gründen des Denkmalschutzes nicht zuläßig © Peter Dollinger, Zoo Office Bern, unter Verwendung einer Aufnahme von Götz Berlik

 

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Anlage für Eurasische Wasservögel im Zoo Zürich. Hier werden freifliegende Störche sowie flugunfähig gemachte Jungfernkraniche und Gänsevögel gehalten. Die Störche ziehen im Herbst weg und kommen im Frühjahr zurück, Teichhühner, Stockenten und Graureiher haben sich freiwillig angesiedelt © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Huftiere, natürlicherweise flugunfähige Strauße und flugunfähig gemachte Pelikane vermitteln im Tierpark Cottbus den Eindruck einer Lebensgemeinschaft in der ostafrikanischen Savanne © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

 

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Das mit geringem Schneefall verbundene maritime Klima Frankreichs erlaubt den Bau großräumiger Volieren, in denen auch Großstörche fliegen können, mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln. Hier im Parc des Oiseaux, Villars-les-Dombes © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Die Afrikavoliere im Parc des Oiseaux, Villars-les-Dombes, ist für das Publikum begehbar © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

Traditionell wurde "Wasser- und Parkgeflügel" durch Kupieren, d.h. Abtrennen der einen Flügelspitze oder durch einseitiges Stutzen der Armschwingen am Fliegen gehindert. Die Vögel wurden so zu Fußgängern, die in Freigehegen anstatt in Volieren gehalten werden konnten. Dies hatte manche Vorteile: Der Bau einer oben offenen Anlage ist billiger als der einer Voliere, das Besuchererlebnis ist besser und für Vögel, die wenig fliegen, wird der Verlust der Flugfähigkeit durch das im Vergleich zu Volieren in der Regel viel größere Raumangebot der Freigehege mehr als kompensiert.

Da das deutsche Tierschutzgesetz keine explizite Ausnahme von § 6* vorsieht, ist das Flugunfähigmachen mittels chirurgischer Methoden in Deutschland grundsätzlich verboten und kann als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. In Österreich ist die dauerhafte Einschränkung der Flugfähigkeit durch operative Eingriffe nach § 4.(6) verboten. Das regelmäßige Kürzen der Schwungfedern der Handschwingen ist dagegen ausdrücklich gestattet. Die deutschen und österreichischen Regelungen bieten Anlass zu andauernden Diskussionen zwischen Tierhaltern, Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen und Behörden. In der Schweiz ist das Kupieren von Hausgeflügel verboten. Bei Wildvögeln ist es nach einer Güterabwägung erlaubt**. Faktisch ist es in Zoos gestattet, in Privathaltungen in der Regel nicht.

Weil in den meisten anderen europäischen Ländern das Flugunfähigmachen mancher Vogelarten gängige Praxis ist, in Anbetracht der Tatsachen, dass ein Leiden als Folge der Flugunfähigkeit in der Regel nicht nachgewiesen werden kann, dass Großvolieren z.B. aus Denkmal- oder Landschaftsschutzgründen oft nicht zu realisieren sind, dass das Bundesnaturschutzgesetz von den Zoos verlangt, sich an Erhaltungszuchtprogrammen zu beteiligen, und dass solche Programme nicht national, sondern auf europäischer Ebene durchgeführt werden, wurde seitens der Zoos und von Amtstierärzten vorgeschlagen, in Übereinstimmung mit der EU Zoos Directive Guidance eine generelle Regelung zu treffen, die das gute Funktionieren der Zuchtprogramme nicht beeinträchtigt. Eine solche Regelung sollte sich an der Europäischen Heimtierkonvention orientieren, die das Flugunfähigmachen nur für im privaten Haushalt gehaltene Vögel (wie z.B. Papageien) verbietet, allenfalls in Verbindung mit einem Katalog der Vogelarten, bei denen Eingriffe zum Flugunfähigmachen zulässig sind, ähnlich jenem der in den schwedischen Vorschriften über die Tierhaltung in Zoos enthalten ist, sowie unter Bezug auf die vom Weltverband der Zoos und Aquarien als „best practice“ definierten Methoden [DOLLINGER et al.2014].

In einer Stellungnahme hält die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz fest, dass das Flugunfähigmachen bei bestimmten Vogelarten "tierschutzgerecht möglich" sei. Auch andere Autoren [z.B. BAUMGARTNER, 2015; ROSE et al., 2014,  im Falle der Flamingos] kommen zum Schluss, dass die Haltung in Volieren nicht notwendigerweise der Haltung flugunfähig gemachter Vögel vorzuziehen ist und sehen hier noch erheblichen Forschungsbedarf. Erste Untersuchungen ergaben keine relevanten Unterschiede hinsichtlich des Gehalts an dem Stresshormon Corticosteron in den Federn flugunfähig gemachter bzw. flugfähiger Flamingos [REESE, 2020; REESE et al. 2020].

Als Methode der Wahl gilt heute für die meisten der in Betracht kommenden Vogelarten die am Tiergarten Nürnberg entwickelte Verödung von 10-12 Handschwingen-Follikeln mittel eines Diodenlasers, die unter Allgemeinnarkose dürchgeführt wird [BAUMGARTNER, 2015; DOLLINGER et al., 2014].

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* Verboten ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres.

**Aus der Antwort vom 07.09.2016 des Bundesrats auf eine parlamentarische Interpellation: Die Erarbeitung der Vorschriften der Tierschutzverordnung zum Coupieren der Flügel erfolgte aufgrund einer Güterabwägung. Daraus resultierte ein Coupierverbot für Hausgeflügel und für Wildvögel, die als Heimtiere gehalten werden. Für Wildvögel, die nicht als Heimtiere gehalten werden, besteht kein Coupierverbot, das Coupieren muss aber durch ein übergeordnetes Interesse gerechtfertigt sein. Zoos und Tierpärke nehmen Aufträge zur Aufklärung der Öffentlichkeit und zur Forschung wahr und beteiligen sich im Rahmen von wissenschaftlichen Programmen an der Erhaltung von bestimmten Arten. Derartige Interessen überwiegen die Belastung, die das Tier durch die Coupierung erfährt, und vermögen den Eingriff zu rechtfertigen.

PPT-Präsentationen zum Thema:

Literatur:

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PD - 29.12.2014 - 2835

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© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx