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WALDER, S. (2007)

Raum - zeitliche Nutzung und soziale Beziehungen auf einer Gemeinschaftsanlage afrikanischer Großtiere in der ZOOM Erlebniswelt Gelsenkirchen.

Diplomarbeit

103 Seiten.

Ganzer Text

Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Betreuung: Prof. Dr. W. Böhme
Zoom Erlebnniswelt Gelsenkirchen

Zusammenfassung:

In den letzten Jahren und Jahrzehnten kam es in vielen Zoos der Welt nach einer langen Zeit des baulichen Stillstands wieder zu großen Investitionen. Die zur Verfügung stehenden Mittel sollten dabei nach Möglichkeit so eingesetzt werden, dass sowohl für die einzelnen Tiere und Tierarten als auch für die Besucher optimale Bedingungen entstehen.
Mit dem Umbau des Ruhr-Zoos und der Neugestaltung der verschiedenen Bauabschnitte begann auch ein neues Kapitel der Tierhaltung in Gelsenkirchen. Bereits vorher waren im Ruhr-Zoo unter der Leitung des Dipl. Biologen W. D. Gürtler Gemeinschaftsanlagen geschaffen worden. Doch ein Gelände der jetzigen Größe und mit dieser vielfältigen Artenzusammenstellung wurde in Deutschland zuvor noch nicht realisiert.
Das Gelände der Afrikasavanne in der ZOOM Erlebniswelt Gelsenkirchen bietet zehn verschiedenen Arten mit zum Zeitpunkt der Untersuchungen knapp 55 Tieren Raum, in einer Artengemeinschaft zusammen zu leben. Bis Mitte 2007 ist die Anzahl der Tiere auf ca. 70 Tiere angewachsen. Durch Zuchterfolge oder weiteren Besatz könnten noch weitere Tiere hinzukommen.
Zum aktuellen Artenbesatz der Afrikasavanne der ZOOM Erlebniswelt gehören:

Equus quagga boehmi (Böhm-Steppenzebra)
Hippotragus niger (Rappenantilope)
Taurotragus oryx (Elenantilope)
Antidorcas marsupialis (Springbock)
Tragelaphus strepsiceros (Großer Kudu)
Struthio camelus (Afrikanischer Strauß)
Leptoptilos crumeniferus (Marabu)
Gyps fulvus (Gänsegeier)
Numida meleagris f.domestica (Helmperlhuhn)
Ceratotherium simum seit Mai 2007 (Breitmaulnashorn)

Die wissenschaftliche Untersuchung konzentrierte sich auf die folgenden vier Kernpunkte:
Wie wird die gesamte Fläche von den verschiedenen Arten der Afrikasavanne genutzt, gleichmäßig oder konzentrieren sie sich auf einzelne Bereiche?
Welche Verhaltensweisen sind wie häufig zu beobachten und wie gestaltet sich das tägliche Aktivitätsbudget der Arten?
Welche Beobachtungen lassen sich in Bezug auf verschiedene Untergrundarten und deren Nutzung machen?
Kommt es auf der Afrikasavanne der ZOOM Erlebniswelt Gelsenkirchen dazu, dass verschiedene Arten gleichzeitig gemeinsame Flächen nutzen?
Die gesamte Beobachtungsphase fand von Spätsommer bis Herbst 2006 statt. An insgesamt 50 Beobachtungstagen wurden in 203 Stunden und 40 Minuten Daten aufgenommen.
Die Datenaufnahme bestand aus rhythmisch aufgenommen Daten, bei denen der jeweils aktuelle Standort jedes Tieres im Gehege markiert wurde. In der zweiten Hälfte der Beobachtungsphase wurde ergänzend das aktuell gezeigte Verhalten jedes Tieres vermerkt, entsprechend der acht im Arbeitsethogramm enthaltenen Verhaltenskategorien.
Zur Beantwortung der einzelnen Fragen wurden verschiedene Auswertungsmethoden herangezogen.
Eine Analyse mit Hilfe des SP- Indices wurde herangezogen, um die Fragestellung zur Nutzung der neu gestalteten Afrikasavanne zu bearbeiten. Ein SPI- Wert von null weist auf eine absolut gleichmäßige Nutzung hin, während ein Wert von eins anzeigt, dass sich die Tiere der jeweils betrachteten Gruppe nur in einem Quadranten aufhalten. Es wurden die verschiedenen Arten einzeln und einmal die gesamte Gruppe der vergesellschafteten Arten betrachtet.
Die Ergebnisse stellten sich so dar, dass die SPI- Werte der verschiedenen Arten sich um einen Wert von 0,5 verteilten. In der graphischen Auswertung (Teil 3.1) zeigen sich deutlich die bevorzugten Bereiche der einzelnen Arten auf der neuen Anlage.
Der SPI- Wert von 0,39 für die gesamte Gruppe der auf der Fläche beheimateten Arten belegt, dass nahezu die gesamte Fläche von den Tieren genutzt wird. Die graphischen Darstellungen verdeutlichen, dass jede der sechs beobachteten Arten einen ihren Bedürfnissen entsprechenden Bereich gefunden hat und sich dort bevorzugt aufhält. An einigen Stellen zeigen sich auch geringfügige Überschneidungen der Gebiete.
Eine artgerechte Haltung lässt sich unter anderem durch die Dokumentation des täglichen Aktivitätsbudgets der gehaltenen Populationen einschätzen. Zeigen die Tiere ähnliche Verhaltensweisen wie in der Natur und ähnelt ihr Tagesablauf dem in freier Wildbahn, lässt das den Rückschluss zu, dass die Tiere ihren Bedürfnissen entsprechend gehalten werden. Dazu wurden acht Verhaltenskategorien ausgewählt und während der zweiten Hälfte der Beobachtungsphase zusätzlich erfasst.
Die gesammelten Daten boten einen Einblick in die täglich gezeigten
Verhaltensphasen. Es ist damit z.B. festzustellen, wie viel Zeit die verschiedenen Arten mit der Futtersuche oder mit Ruhephasen verbringen. Bei genauerer Betrachtung der erhobenen Daten konnten Rückschlüsse auf die von Bell/Jarman postulierten Prinzipen des Nahrungserwerbs bei afrikanischen Großsäugern gezogen werden. Es zeigte sich, dass sich die verschiedenen Arten auf dem der afrikanischen Savanne nachempfundenen Gehege so verhalten, wie bereits von Bell und Jarman Ende der 60er Jahre und in den 70er Jahren für frei lebende Arten veröffentlicht wurde.
Die Tiere der Afrikasavanne in Gelsenkirchen ziehen den Tag über wiederholt in längeren Phasen über das Gelände oder äsen. Besonders deutlich wird dies bei A. marsupialis, der in bis zu 80 % der Zeit auf der Anlage Nahrung aufnimmt (‚äsen‘).
Das Gehege soll ein möglichst naturgetreues Abbild der afrikanischen Savanne darstellen. Es wechseln sich große Grasflächen mit sandigen Flächen und Geröllbereichen ab.
Eine weitere Fragestellung galt diesen Gestaltungsmerkmalen: Nehmen die Tiere die gewählten Untergrundarten an und nutzen sie diese auch ihren natürlichen Ansprüchen entsprechend?
Die Auswertung der Häufigkeit und der Art der Nutzung der verschiedenen Untergrundarten sollte darüber Auskunft geben, wie die einzelnen Arten die angebotene Struktur annehmen.
Den Erwartungen entsprechend verbringen die Tiere den Großteil ihrer Aktivitätsphasen auf den Grasflächen der Anlage. Ruhende Tätigkeiten finden vorwiegend auf den Sandflächen statt. Die Untergrundart Geröll wird von allen Arten gemieden.
Besonders auffällig zeigten sich die erhöhten Nutzungsphasen der Untergrundart Pflasterstein. Der häufige und andauernde Aufenthalt der Tiere am späten Nachmittag auf diesen Flächen sowie die Notwendigkeit dieses Untergrunds aus hygienischen Gründen müssen diskutiert werden. Es stellt sich die Frage, ob nach Abhilfe zur Verlagerung des Aktivitätsschwerpunktes gesucht werden muss.
Die Ergebnisse lassen allerdings die Aussage zu, dass die Tiere den unnatürlichen Untergrund akzeptieren und die entsprechenden Bereiche in ihr Territorium integrieren, was aber für die Besucher sehr unattraktiv ist.
Vergesellschaftungen verschiedener Arten dieser Größenordnung gibt es erst seit Kurzem in Zoologischen Gärten. Aus der Feldbeobachtung ist bekannt, dass verschiedene Arten gemeinsame Herden bilden, wenn sie in der Trockenzeit auf der Suche nach Nahrungsquellen umherwandern.
Ermöglicht die Größe der Anlage der ZOOM Erlebniswelt, dass sich verschiedene Arten zusammen schließen oder führt jede Art weiterhin eine opportunistische Lebensweise? Zur Beantwortung dieser Frage wurde untersucht, ob verschiedene Arten gemeinsam bestimmte Bereiche der neuen Anlage nutzen. Über die Raumnutzungsanalyse konnte ermittelt werden, wie häufig sich zwei Arten gemeinsam in einem Quadranten (Grundfläche 100 m2) und zusätzlich mit einem Maximalabstand von 20 m (in zwei aneinander angrenzenden Quadranten) aufhalten.
Diese Ergebnisse ließen ebenfalls Rückschlüsse auf die von den verschiedenen Arten eingehaltenen oder bevorzugten Individualabstände zu. Es stellte sich heraus, dass die meisten Arten einen interartspezifischen Individualabstand von mehr als 20 Metern bevorzugen, aber bei starken Umweltfaktoren (Regen, Wind, Futter) auch bereit sind, sich bis auf wenige Meter Abstand zu nähern.
Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass bei der Auswahl der Tiergruppen die natürliche Artzusammensetzung eines Ökosystems Berücksichtigung fand. Gestaltung und Größe des Geländes ermöglichen sowohl artspezifische Entfaltung wie Kontakte mit anderen Arten und reduzieren Konfliktsituationen durch räumliche Weite und ein vielfältiges natürliches Nahrungsangebot. Sowohl planerisch als auch architektonisch konnte hier ein zukunftsweisendes Konzept verwirklicht werden.

 

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