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BUCKEN, S. (2012)

Soziale Interaktion und Raumnutzung von Orang-Utans (Pongo abelii) und anderen Arten in Gemeinschaftshaltung.

Masterarbeit

129 Seiten, plus Anhang

Ganzer Text

Fachbereich Biologie, Philipps-Universität Marburg
Betreuer: Prof. Dr. Lothar Beck
Zoom Erlebniswelt Gelsenkirchen

Zusammenfassung:

Die Gemeinschaftshaltung in Gelsenkirchen, welche während der Beobachtungszeit 2,4 Sumatra-Orang-Utans (Pongo abelii LESSON 1827), 2,8 Hulmans (Semnopithecus entellus DUFRESNE 1797) und 1,2 Kurzkrallenotter (Aonyx cinerea ILLIGER 1815) umfasste, wurde vom 18.01.2012 bis zum 15.05.2012 beobachtet. Dabei wurden sowohl Ethogramme für alle Arten erstellt als auch die Gehegenutzung der Tiere untersucht. Im Anschluss wurden sowohl intraals auch interspezifische Interaktionen erfasst und ausgewertet. Ziel dieser Studie war es, einen Eindruck von dem Zusammenleben der Arten zu bekommen und bewerten zu können, ob die Vergesellschaftung eine Bereicherung für den Alltag der Tiere darstellt.

Die Auswertung der Ethogramme für die Orang-Utans zeigte altersbedingte Unterschiede. Ein Vergleich mit den Ergebnissen freilebender Tiere aus der Literatur ergab, dass die Zootiere weniger Zeit mit Lokomotion, aber vor allem deutlich weniger mit der Nahrungsaufnahme verbringen als ihre freilebenden Verwandten. Dieses Ergebnis war zu erwarten, da die Zootiere weniger Aufwand haben, um ihre Nahrung zu beschaffen. Dadurch verbringen die Tiere weitaus mehr Zeit mit stationären Verhaltensweisen. Dies ist ein bekanntes Problem in der Zootierbiologie und hier wären weiterführende Studien nach wirkungsvollen enrichment-Möglichkeiten interessant.

Auch für die Individuen der Hulman-Gruppe wurden Ethogramme erstellt. Dabei konnten deutliche Unterschiede zwischen den adulten Tieren gefunden werden, die durch von ihnen abhängige Jungtiere erklärt werden konnten. Auch altersbedingte Unterschiede wurden beobachtet, bei denen das mit Abstand älteste Weibchen deutlich weniger soziale Kontakte innerhalb der Gruppe hatte und, wie im Freiland beobachtet, eine „Wächterrolle" für die Gruppe übernimmt. Ein Vergleich der Ethogramme der Jungtiere zeigte deutlich die Veränderung, die die Entwöhnung von der Mutter mit sich bringt und damit den Übergang in die nächste Altersklasse. Das entwöhnte Jungtier hatte deutlich weniger Kontakt zu der Mutter als seine gleichaltrigen Halbgeschwister und investierte deutlich mehr Zeit in die Pflege sozialer Kontakte unter den anderen adulten Tieren.

Überraschend ist, wie ähnlich der Tagesablauf und die Anteile der einzelnen Verhaltensweisen der Zootiere denen von im Freiland beobachteten Hulmans waren. Auch die Anteile für Nahrungsaufnahme und Lokomotion entsprachen fast denen freilebender Tiere, obwohl dies, wie bei den Orang-Utans zu sehen, ein häufig auftretendes Problem in Zoologischen Gärten ist und es zu erwarten gewesen wäre, dass diese deutlich geringer ausfallen. Dies spricht für optimale Haltungsbedingungen der Hulmans in der Zoom Erlebniswelt Gelsenkirchen.
Im Vergleich ließ sich deutlich der erwartete Unterschied zwischen einer eher einzelgängerisch lebenden Art wie den Orang-Utans und den in großen Haremsgruppen lebenden Hulmans erkennen, bei denen soziale Kontakte den Hauptteil des Tages ausmachen, während Verhaltensweisen wie Grooming oder Kuscheln bei den Orang-Utans kaum beobachtet wurden.
ie Kurzkrallenotter verbringen auf der Anlage hauptsächlich ihre aktiven Phasen, während sie sich zum Schlafen meist in ihre Schaubox zurückziehen. Dies erkennt man deutlich an dem erstellten Ethogramm, in das nur die Zeiten einflossen, die die Tiere auf der Anlage verbrachten.

Die Analyse der Gehegenutzung erbrachte, dass die Anlage zu fast 90% genutzt wird. Aufgeschlüsselt nach den Arten zeigen sich für jede Gruppe deutlich bevorzugte Bereiche des Geheges, was auch nach Literaturangaben über die räumliche Nutzung in Gemeinschaftsgehegen zu erwarten war. Obwohl die Anlage darauf ausgelegt ist, dass alle Bereiche ohne Bodenkontakt zu erreichen sind, halten sich die Orang-Utans über die Hälfte der Zeit auf dem Boden auf. Auch hier wären weitere Überlegungen interessant, wie man die Orang-Utans zum Klettern und zur vermehrten Nutzung der höheren Levels des Geheges animieren könnte. Der beste Anreiz ist dazu zweifellos Futter; so könnte man gleichzeitig auch die Anteile für Nahrungserwerbsverhalten erhöhen und das stationäre Verhalten der Tiere verringern. Die Hulmans sind, wie aus der Literatur bekannt, sehr anpassungsfähig an ihre Umwelt und nutzen die Klettermöglichkeiten auf der Anlage sehr gut. Von Kurzkrallenottern ist bekannt, dass sie deutlich weniger Zeit im Wasser verbringen als andere Otterarten und so entsprach die beobachtete Nutzung der verschiedenen Gehegebereiche durchaus den Erwartungen.

Allein die Quantität der erfassten Interaktionen zeigt noch einmal deutlich den Unterschied zwischen den hauptsächlich einzelgängerischen Orang-Utans und den in Gruppen lebenden Hulmans, für die etwa achtmal so viele intraspezifische Interaktionen erfasst wurden. Dabei ist zu beachten, dass durch die gewählte Beobachtungsmethode ad libitum die quirligen Hulmans mehr die Aufmerksamkeit des Beobachters anziehen als die ruhigen Orang-Utans und somit möglicherweise intraspezifischen Interaktionen der Menschenaffen unbeobachtet blieben und das Verhältnis nicht dem tatsächlichen entspricht. Kurzkrallenotter sind aus der Literatur als sehr gesellige Tiere bekannt und dieser Eindruck konnte auch während der Beobachtungen gewonnen werden, auch wenn die Anzahl der intraspezifischen Kontakte nicht sehr hoch war. Dies liegt jedoch auch daran, dass die Zwergotter nur etwa ein Drittel der Zeit auf der Anlage verbringen.

Es konnten etwa doppelt so viele interspezifische Interaktionen beobachtet werden wie innerartliche Kontakte bei den Orang-Utans. Auch hier ist zu beachten, dass den zwischenartlichen Interaktionen die meiste Aufmerksamkeit geschenkt wurde und sie so vermutlich deutlich überrepräsentiert sind. Bei den Orang-Utans interessierten sich vor allem die jüngeren Tiere Ogan und Ziadah für die anderen Gemeinschaftsmitglieder, während bei den Hulmans eher die rangniedrigeren, älteren Tiere häufiger interspezifische Kontakte hatten. Von den Jungtieren hatten Benita und vor allem Malina am häufigsten Kontakt zu den anderen Arten. Zwischen Ziadah und Malina entwickelte sich während der Beobachtungszeit eine sehr innige Beziehung und nur zwischen diesen beiden konnten regelmäßig freundliche Interaktionen mit Körperkontakt beobachtet werden.

Alles in allem ist die Gemeinschafthaltung der Orang-Utans, Hulmans und Kurzkrallenotter in der Zoom Erlebniswelt Gelsenkirchen als voller Erfolg anzusehen. Das Zusammenleben der verschiedenen Arten stellt nicht nur für die Besucher, sondern auch für die Tiere eine Bereicherung dar und bringt Abwechslung in den Alltag. Dabei geht von den deutlich stärkeren und größeren Orang-Utans zu keiner Zeit Gefahr für die anderen Tiere aus. Sexta reagiert bisweilen sogar eher eingeschüchtert auf Wendy, allerdings konnten nur sehr selten aggressive Interaktionen beobachtet werden und nie gingen diese über Drohen oder ein kurzes Schlagen hinaus. Die anderen Orang-Utans haben keine Angst vor den Languren und für das Orang-Utan-Jungtier Awang bestand nie eine Gefahr. Die adulten Hulmans interessieren sich überhaupt nicht für ihn und die jüngeren Hulmans näherten sich ihm zwar neugierig, aber Farida ließ in der Beobachtungsphase nie einen direkten Kontakt zu. Es wird interessant sein zu beobachten, wie sich Awangs Verhältnis zu den Hulmans entwickelt, wenn er älter und selbstständiger wird. Auch die wesentlich kleineren Kurzkrallenotter scheinen keine Angst vor den Affen zu haben und werden nicht von ihnen belästigt. Oftmals nähern sie sich von sich aus den Orang-Utans an und scheuen auch nicht die Nähe zu den Hulmans. Nur einmal konnte beobachtet werden, dass die Kurzkrallenotter von einem der jüngeren Hulmans belästigt wurden. Die Gemeinschafthaltung bringt also deutlich mehr Vorteile als Nachteile mit sich und ist eine Bereicherung für alle Tiere der Gemeinschaft.

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© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx