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BRÜCHLE-ULMER, I. (1986)

Vergleich der Jugendentwicklung von Amsel Turdus merula und Ringdrossel Turdus torquatus alpestris

Diplomarbeit

Zoologisches Institut der Universität Innsbruck
Betreuer: Dr. E. Thaler, Alpenzoo Innsbruck und Universität Innsbruck
Alpenzoo Innsbruck

Zusammenfassung:

Amsel und Ringdrossel besetzen ähnliche ökologische Nischen in unterschiedlichen Höhenregionen. Die beiden Arten fallen außerdem in ihrer unterschiedlichen Anpassung an den Menschen auf. Während die Amsel, als typischer Kulturfolger, seit Mitte des letzten Jahrhunderts mehr und mehr Garten- und Parkanlagen erobert hat und ihr Nest häufig in unmittelbarer Nähe des Menschen baut, verhält sich die Ringdrossel im Gegensatz dazu dem Menschen gegenüber scheu (WÜST 1962). So bekannt die Amsel ist, so unbekannt ist die Ringdrossel; wenig weiß man über Ethologie und Postembryonalentwicklung. Das Thema meiner Diplomarbeit, die ich am Alpenzoo durchführte, war daher ein Vergleich der Jugendentwicklung dieser beiden Arten, wobei ich besonders auf die Entwicklung des Verhaltens, des Gefieders und der Laute einging. Um die entsprechenden Daten zu erhalten, zog ich drei Nestlinge jeder Art auf. Dabei hielt ich mich an die Aufzuchtpraktiken bei THALER (1978). Die jungen Amseln sollten zuerst vom Ei an aufgezogen werden. Es schlüpften auch aus vier Eiern drei Junge an drei aufeinander folgenden Tagen. Die beiden Erstgeschlüpften verendeten allerdings wieder am jeweils dritten Tag. Daher nahm ich zu dem verbleibenden viertägigen Nestling zwei Junge einer Naturbrut. Der Schlüpftermin war mir bekannt, sie waren ebenfalls vier bzw. fünf Tage alt. Die jungen Ringdrosseln stammten aus einem Nest in Obergurgl im Ötztal.

Gewichts- und Gefiederentwicklung wurden genau festgehalten. Die einzelnen Verhaltensweisen, wie z.B. Gefiederpflegehandlungen, Aggressionshandlungen, Dös- und Schlafhaltungen, wurden bei ihrem jeweils ersten Auftreten notiert, außerdem fertigte ich täglich zu bestimmten Zeiten Stundenprotokolle von jedem Individuum an, in denen ich sämtliche zu beobachtenden Verhaltensweisen festhielt. Entwicklung und Charakteristika der einzelnen Laute wurden mittels Tonband aufgezeichnet und mit Hilfe eines Sonagraphen in Form von Sonagrammen ausgewertet. Darüber hinaus führte ich noch verschiedene Versuche durch, um eventuell unterschiedliche Nahrungspräferenzen zu erkennen, sowie um das Verhalten auf Attrappen zu testen.

Die Ergebnisse zeigten nun einerseits genau parallel verlaufende Entwicklungsschritte, wie z.B. Gefiederwachstum oder Lautbildung, andererseits wiesen sie aber auch Unterschiede auf, die durchaus als Anpassungen an die verschiedenen Lebensräume gewertet werden könnten. Ringdrosseln zeigten eine deutlich langsamere lokomotorische Entwicklung als die Amseln. Jene vermochten sich noch am 12. Tag, einen Tag vor dem Flüggewerden, erst auf dem Bauch rutschend fortzubewegen.Die Amseln dagegen konnten schon ab dem 10. Tag sicher laufen, ab dem 12. Tag verließen sie das Nest immer wieder für kurze Zeit, am 14. Tag schließlich wurden sie flügge. Amseln können also bei Störung das Nest zwei bis drei Tage früher verlassen als Ringdrosseln. Die länger andauernde motorische Unbeholfenheit junger Ringdrosseln könnte darauf zurückzuführen sein, daß es in ihrem Extremklima von Vorteil sein mag, so lange wie möglich im Nest zu verweilen, außerdem ist ihr Lebensraum sicher viel ärmer an Störungen als der der Amseln. (Vgl. SCHNIDRIG 1928: „Ringdrosseln verweilen länger im Nest als Amseln".)

Unterschiede im Aggressionsverhalten äußerten sich weniger im Ausdruck als vielmehr in der Quantität: unter den Amseln waren Aggressionen wesentlich häufiger. Dies könnte Folge unterschiedlicher Anpassung an hohe Siedlungsdichte sein. Während Amseln, namentlich in der Stadt, in hoher Dichte brüten, ergibt sich für Ringdrosseln, bedingt durch den Lebensraum, eine viel geringere Dichte, also ein für jedes Individuum viel größeres Revier als bei der Amsel. Damit könnte die bei Arten mit hoher Siedlungsdichte aufgewandte Zeit zur Revierverteidigung entfallen (vgl. BKRG-SCHI.OSSER 1980).

Ringdrosseln zeigten eine zusätzliche, bei den Amseln von mir nie beobachtete Badebewegung: sie drückten Brust und Oberarme bei halbgefächerten Flügeln nach unten und rutsehen so auf dem Untergrund. Diese Bewegung entspricht dem sog. „Taubaden". Ringdrosseln steht durch den höheren Niederschlag und den längeren Morgen- und Abendtau fast immer nasse Vegetation zur Verfügung. Es ist durchaus vorstellbar, daß sie dementsprechend eine dafür günstigere Badebewegung entwickelt haben.

Die bergbewohnende Ringdrossel muß häufiger mit Kälteperioden rechnen. Das mag das um zwei Wochen frühere Einsetzen der Mauser bei dieser Art erklären. Ringdrosseln sind außerdem im Gegensatz zu Amseln echte Zugvögel (NIETHAMMER 1937), daraus wäre das Mausern der Steuerfedern verständlich, die von Amseln bei der Jugendmauser nicht erneuert werden (STEPHAN 1985).

Unterschiede zeigten sich auch in der Wahl des Nachtschlafplatzes. Während die Ringdrosseln immer in Bodennähe übernachteten, wählten die Amseln immer die höchstgelegenen Plätze zum Schlafen. Der Grund dafür könnte darin liegen, daß die Vegetation im Lebensraum der Ringdrossel andere Voraussetzungen bietet als in dem der Amsel. Ringdrosseln dringen bis in die Krummholzzone vor. Dort gibt es von vornherein weniger hoch gelegene Schlafplätze, auf diesen wenigen aber wären die Vögel dem Feinddruck und den Unbilden des Wetters zu stark ausgesetzt.

Der Vergleich der Laute läßt aufgrund der parallelen Entwicklung auf die nahe Verwandtschaft schließen. Andererseits sind diese Laute wieder so verschieden, daß eine eindeutige Artentrennung möglich ist. Beide Arten bettelten zuerst mit dem für viele frisch geschlüpfte Singvögel typischen „hip"-Laut. THIELKE (1970) nimmt an, daß der Stimm-Apparat zu diesem Zeitpunkt noch nichts anderes hervorzubringen vermag als das einfache leise „hip". Dieses „hip" ging dann allmählich in die späteren Sperrlaute über. Deutlich verschieden waren die Luftwarnrufe „sieh", die beide Arten beim Anblick von Luftfeinden ausstießen.
Die Ergebnisse zeigen, wie gut jede Art ihrem Lebensaum angepaßt ist, und daß es durchaus lohnt, sich mit der aus ethologischer Sicht bisher eher unbekannten Ringdrossel weiter zu beschäftigen.

brüchle-biblio

10.10.2014 -455

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© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx