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MANTEL, E.-M. (2008)

Beziehungsbildung bei einem neu zusammengestellten Paar Orang-Utans (Pongo pygmaeus) im Zoo Osnabrück –  Ethologische Beobachtungen und endokrinologische Untersuchungen.

Diplomarbeit im Fach Biologie/Chemie, Universität Osnabrück

146 Seiten, 39 Abbildungen, 7 Tabellen

Gutachter: apl. Prof. Dr. Günter Purschke, Abteilung Spezielle Zoologie
PD Dr. Udo Gansloßer, Zoologisches Institut und Museum Greifswald

Abteilung Zoologie des Fachbereichs Biologie der Universität Osnabrück in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Reproduktionsbiologie des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen

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Zusammenfassung:

Trotz intensiver Freilandbeobachtungen konnte ein genaues Verständnis des Sozialsystems von Orang-Utans bislang nicht erreicht werden. Obwohl diese Primaten einen beträchtlichen Teil ihres Lebens solitär verbringen, finden sie sich unter bestimmten Bedingungen auch in mehr oder weniger großen sozialen Einheiten zusammen, wobei es immer wieder zur Zu- und Abwanderung einzelner Individuen kommt. Einige Autoren vermuten, dass sich diese Art des flexiblen Zusammenlebens in einem „Individual-fission-fusion-System“ zur Vermeidung direkter Nahrungskonkurrenz evolviert hat und Orang-Utans demnach nicht generell „ungesellig“ sind. Tatsächlich weisen Tieren in menschlicher Obhut ein hohes soziales Potential und die Tendenz zur Interaktion mit Artgenossen auf, so dass die Haltung dieser Primaten in Paaren oder Gruppen sich in vielerlei Hinsicht positiv auf die Tiere auswirkt. Die Vergesellschaftung einander fremder Individuen ist jedoch aufgrund der zunächst instabilen sozialen Ordnung meist auch mit einem gewissen Maß an Stress verbunden.

Ziel der vorliegenden Studie war es, nähere Informationen über die Auswirkungen einer derartigen Veränderung der Lebensbedingungen auf zwei adulte Orang-Utans im Zoo Osnabrück zu gewinnen. Dabei wurden sowohl Aspekte des Verhaltens, als auch endokrine Parameter berücksichtigt. Der Zeitraum ethologischer Beobachtungen umfasste 19 Wochen in denen zudem Kotproben zur späteren Quantifizierung von Cortisol-Metaboliten der Individuen gesammelt wurden. Der Verlauf der Beziehungsbildung innerhalb der Dyade sollte zudem mit dem von KUMMER (1975) entwickelten Stufenmodell und den entsprechenden Regeln verglichen werden.

Es konnte gezeigt werden, dass die Zusammenführung mit einem fremden Artgenossen bei beiden Partnern eine Stressreaktion auslöste, die mit einer Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse einherging. Die resultierende, signifikant erhöhte Ausschüttung von Glucocorticoiden konnte durch die Quantifizierung von Cortisol-Metaboliten aus dem Kot der Tiere nach der nicht-invasiven Methode des Enzymimmunoassays nachgewiesen werden. Dies führte zu der wichtigen Erkenntnis, dass sich dieses Messsystem zum Nachweis von sozialem Stress bei Orang-Utans eignet.

Hinsichtlich des Ausmaßes des Anstiegs in der Stresshormonkonzentration gab es keine individuellen Unterschiede zwischen dem im Gehege etablierten Männchen und dem neuen Weibchen, welches sich zusätzlich mit einer völlig fremden Umgebung konfrontiert sah und wenige Tage vor der Zusammenführung von Antwerpen nach Osnabrück transportiert worden war. Der Transport erwies sich jedoch eindeutig als größerer Stressor und führte beim Weibchen im Vergleich zur Vergesellschaftung mit dem Männchen zu einem weitaus größeren Anstieg der Stresshormonausschüttung. Im zeitlichen Verlauf der Eingewöhnungsphase sank der Cortisoltiter bei beiden Orang-Utans signifikant ab und erreichte nach etwa zwei bis drei Monaten wieder das Basisniveau aus dem Zeitraum vor dem Transport bzw. der Vergesellschaftung, so dass nach dieser Zeit von einer stabilen Beziehung und einer abgeschlossenen Eingewöhnungsphase auszugehen war. Bei dem weiblichen Tier konnten zwischenzeitliche erneute Anstiege mit bestimmten Ereignissen, wie beispielsweise Auseinandersetzungen mit dem Sozialpartner, in Zusammenhang gebracht werden.

Aus dem Kot des Männchens wurden zusätzlich Testosteron-Metabolite quantifiziert, um mögliche Auswirkungen der Anwesenheit eines neuen weiblichen Sozialpartners zu untersuchen. Zwar erwies sich der verwendete Assay als geeignet, es ließ sich jedoch keine Beeinflussung des Androgenstatus feststellen. Auch hinsichtlich eventueller Zusammenhänge zwischen Testosterontiter und Dominanzranzrang, Sexualverhalten oder Aggression eines Orang-Utan-Männchens konnten im Rahmen der Studie keine Aussagen getroffen werden.

Die Beziehungsbildung der Orang-Utans verlief im Wesentlichen nach den von KUMMER (1975) aufgestellten Regeln. Aufgrund des ausgeprägten Sexualdimorphismus und der durch Gewichts- und Größenunterschiede von vorneherein festgelegten Dominanzordnung wurde die erste Stufe (Kampf) erwartungsgemäß übersprungen. Das zusätzliche Überspringen der beiden nächsten Stufen, Präsentieren und Aufreiten, war allerdings nicht zweifelsfrei auf bestimmte physiologische Parameter der Tiere zurückzuführen. Aufgrund der Tatsache, dass die höchst mögliche Stufe des Modells von KUMMER (1975) mit dem Erstauftreten sozialer Körperpflege nach 17 Tagen erreicht wurde, konnte ab diesem Zeitpunkt von einer relativ stabilen Beziehung zwischen den Tieren ausgegangen werden. Dabei führte ausschließlich das Weibchen aktiv dieses Verhalten aus, was auf einen subordinierten Status des Tieres hindeutet. Die Erfolgsrate des Männchens im Bezug auf die Platzverdrängung sowie der höhere Zeitenteil, den das Weibchen mit dem Beobachten des Männchens verbrachte, stützt diese Annahme. Trotz ihres von Natur aus eher einzelgängerischen Wesens, scheinen diese Primaten gewisse Dominanzstrukturen innerhalb sozialer Gemeinschaften auszubilden.

Generell zeigte sich das Weibchen deutlich interessierter an der Kontaktaufnahme und Körpernähe, während das Männchen vermehrt zum Kontaktabbruch tendierte. Obwohl durchaus soziale Interaktionen und sogar das zwischen adulten Orang-Utans sehr seltene Spielverhalten beobachtet werden konnten, zeigte sich, dass die Tiere dennoch vermehrt zum Alleinsein tendieren, wie es auch bei ihren wildlebenden Artgenossen zu beobachten ist.

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© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx