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RIEGER, I.(1980):

Beiträge zum Verhalten von Irbissen (Uncia uncia, SCHREBER, 1775) in Zoologischen Gärten.

Dissertation

156 Seiten

Philosophische Fakultät II der Universität Zürich
Begutachter: Prof. Dr. H. Hediger, Universität Zürich, Prof. Dr. R. Wehner, Universität Zürich, Prof. Dr. P. Vogel, Universität Lausanne, Prof. Dr. A.S. Etienne, Universität Genf
Zoo Zürich

Zusammenfassung:

Mit der vorliegenden Arbeit wurde versucht, aufgrund eigener Beobachtungen in Zoologischen Gärten und der bis heute vorhandenen, spärlichen Literaturangaben ein möglichst vollständiges Bild vom Irbis-Verhalten vorzulgene.

Das Verhalten von 24 Individuen (d.h. mehr als 10 % aller Irbisse in Zoos) in 8 verschiedenen Zoologsichen Gärten wurde für die vorliegende Arbeit untersucht. Die Tiere wurden mehrheitlich während der Abendaktivität beobachtet. Ihr Verhalten protokollierte ich nach der "one-zero-sampling" Methode.

Irbisse sind vor allem dämmerungsaktiv, im Sommer sind sie mehr in den kühlen Nachtstunden in Bewegung, tagsüber ruhen sie. Im Winter ist die Mittagspause stark verkürzt. die Aktivitätsperioden in der Morgen- und Abenddämmerung dauern bis in den Vormittag und beginnen schon am frühen Nachmittag.

Irbisse markieren mit Urin auf zwei verschiedene Arten, zum einen tun sie es während des Hinterpfotenauswischens (Wischen), zum andern spritzharnen sie. Bei der erstgenannten Form des Markierens urinieren sie auf einen kleinen Hügel von Bodenmaterial, der durch die wischenden Bewegungen der Hinterpfoten aufgehäuft wird. Wisch-Stellen befinden sich überall dort, wo der Käfigboden für die Ausführung dieses Verhaltens geeignet ist, d.h. in den Bereichen mit sandig-mergeligem Grund. Beim spritzharnen richtet das Tier den Schwanz vertikal nach oben und spritzt Urin nach hinten oben. Die Spritzharnstellen sind bestimmte, regelmässig markierte Stellen an Bäumen, Wänden und Gittern. Männchen markieren auf beide Arten häufiger als Weibchen. Wenn Weibchen allein gehalten sind oder wenn sie Junge führen, dann ist ihre Markierhäufigkeit gesteigert. Die Männchen markieren vor allem in Explorationssituationen und oft im Anschluss an agonistisches Verhalten. Das Markierverhalten wird interpretiert als Imponier-, Territorial- und selbstversicherndes Verhalten.

Besonderes Gewicht wird auf das Verhaltenselement Wangenreiben gelegt, einem Element aus der Gruppe von Verhaltensweisen, die ein Irbis auf Geruchsreize wie Kot, Urin, Futter, usw. richtet. Im Gegensatz zu Ansichten aus der Literatur, nach denen Wangenreiben eine Form des Markierens sein soll, kann ich zeigen, dass es sich hier um ein Imprägnier-Verhalten handelt.

Zum Begrüssungsverhalten gehören die Elemente Köpfchengeben, soziales Fellecken und Analfeldschnuppern, auf welches ein Irbis mit Präsentieren antworten kann. In vergleichenden Untersuchungen an Irbissen in verschiedenen Zoologischen Gärten wird das Verhalten der Tiere in den ersten Minuten nach der Begegnung, der eine eintägige Trennung voranging, studiert. Diese Beobachtungen geben Anhaltspunkte zu den Beziehungen zwischen tiergartenbiologischen Parametern und dem Verhalten.

Körperpflegeverhalten in sozialem und nicht-sozialem Zusammenhang wird qualitativ und quantitativ beschrieben, ebenso die Verhatlensweisen des Spiels, des agonistischen und des Paarungsverhaltens.

Irbis-Mimik und -Gestik unterscheiden sich nicht wesentlich von denen anderer Feliden. Der entgegen der ALLENschen Regel beim kälteadaptierten Irbis sehr lange Schwanz spielt eine wichtige Rolle als sozialer Auslöser und beim Kontaktliegen. Die Schwanzhaltungen und -bewegungen sind sehr gut sichtbar und treten oft bei der Initiative von Spielverhalten auf. Irbisse liegen selten in direktem Körperkontakt neben einem Artgenossen. Mit dem Schwanzkontaktliegen, bei dem sie ihren Schwanz über Körperteile, oft den Schwanz, anderer Irbisse legen, nehmen sie taktilen Kontakt zu Artgenossen auf.

Auf klangspektroggraphische Untersuchungen von Lautäusserungen verzichte ich, da andere Autoren diese schon veröffentlicht haben oder in Kürze publizieren werden. Mein Interesseist vor allem auf die Verhaltenszusammenhänge gerichtet, in denen bestimmte Laute auftreten. Prusten ist ein Beschwichtigungslaut, der z.B. bei Begrüssunge, in agonistischen Situationen, im Mutter-Kind-Verhalten, bei Interventionen auftritt. Irbisse können brüllen, ich hörte sie aber nie schnurren. Diese Beobachtungen stehen im Einklang mit der Anatomie des Zungenbeins, die die Brüll- und Schnurrfähigkeit beeinflussen soll. Irbisse haben wie die "Brüllkatzen" (Panthera sp.) ein ligamentöses Epihyale, im Gegensatz zu den "Schnurrkatzen", der Epihyale knöchern ist.

Das Sozialverhalten zwischen je zwei Irbissen der Zürcher Zoos wird quantitativ beschrieben. Dabei zeigen sich deutliche Verhaltensänderungen im Lauf eines Jahres. Die Brunft fällt in die Monate Januar bis März. Im Winter ist die soziale Aktivität grösser als in der übrigen Zeit. Der Brunft gehen zwei deutlich erkennbare soziale Phasen voraus. In den Spätherbstmonaten ist die Aggressivität zwischen Männchen und Weibchen gesteigert, kurz vor der Brunft intensivieren die Weibchen den Sozialkontakt untereinander. Dieser enge Kontakt bleibt bestehen auch während der Paarungszeit. Gegen Ende der Gravidität steigern die Weibchen nochmals die Häufigkeit von Sozialkontakten.

Es wird anhand von Verhaltensmustern und Beispielen aus dem Sozialethogramm gezeigt, dass Irbisse über die Voraussetzungen verfügen, in Kleingruppen während kürzerer oder längerer Zeit zusammenzuleben. Diese vermutete Form der sozialen Organisation steht im Einklang mit den bisher bekannten Beobachtungen an freilebenden Tieren. Ihre Vorzugsbeutetiere sind gross genug, um gleichzeitig mehrere Individuen ernähren zu können. Der Beutefang wird teilweise auch von kooperierenden Irbissen ausgeführt.

rieger-biblio

10.07.2014 - 1'221

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© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx