Schweine, Pekaris und Flusspferde

Wildschwein

Wildschweine (Sus scrofa), Tierpark Berlin Wildschweine (Sus scrofa), Tierpark Berlin
© Klaus Rudloff, Berlin

Überordnung: LAURASIATHERiA
Taxon ohne Rang: CETARTIODACTYLA
Ordnung: Paarzeher (ARTIODACTYLA)
Unterordnung: Nichtwiederkäuer (Nonruminantia) bzw. Schweineartige (Suina)
Familie: Schweine (Suidae)
Tribus: Schweine i.e.S (Suini)

Red list status Least concern

Wildschwein

Sus scrofa • The Wild Boar • Le sanglier

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Wildschwein (Sus scrofa) im Wildgehege Hofheim am Taunus © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Approximative Verbreitung des Wildschweins (Sus scrofa); rot: wiederangesiedelte Population

 

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Wildschwein im Tier- und Freizeitpark Bodanrück, Allensbach © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschweinkeiler (Sus scrofa) in der Suhle im Zoo Sofia © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschwein-Frischling (Sus scrofa) im Highland Wildlife Park, Kimgussie, Schottland © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschwein-Frischling (Sus scrofa) in der Tatzmania Löffingen © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschwein-Frischling (Sus scrofa) im Tierpark Lützen © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschwein-Rotte (Sus scrofa) mit Frischlingen im Highland Wildlife Park, Kingussie, Schottland © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschwein-Bache (Sus scrofa) kontaktliegend mit Frischlingen im Hirschpark Langenthal © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Badende Wildschwein-Bache (Sus scrofa) im Tierpark Cottbus © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Schlafender Wildschwein-Keiler (Sus scrofa) im Wildpark Rheingönheimer Wäldchen, Ludwigshafen © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschwein-Bache (Sus scrofa) im Wildgehege Meßstetten © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschwein-Keiler (Sus scrofa) mit Frischling im Wildpark Peter und Paul St. Gallen © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschwein (Sus scrofa) im Englischen Garten Eulbach © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschwein-Überläufer (Sus scrofa) im Wildpark Brudergrund bei Erbach © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschwein-Bache (Sus scrofa) im Tierpark Dählhölzli Bern © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Drei Moante alter Wildschwein-Frischling (Sus scrofa) im Tierpark Dählhölzli Bern © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschwein-Überläufer (Sus scrofa) im Tierpark Dählhölzli Bern © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschwein (Sus scrofa) im Tierpark Worms © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschwein (Sus scrofa) nach Suhlen im Wildpark Bad Säckingen © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschwein (Sus scrofa castillanus) im Aqualeón Safari Park, Vendrell / Albinyana bei Tarragona © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschwein-Jahresstrecken in der Schweiz. Quelle: Eidg. Jagdstatistik (https://www.uzh.ch/wild/ssl-dir/jagdstatistik/?page=home)

 

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Zeitungsartikel in der schweizerischen Tagespresse ("Der BUND"), der sich recht objektiv mit dem Töten, Schlachten und Verfüttern von Zootieren im städtischen Tierpark auseinandersetzt

 

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Begegnung an der Wildschweinfütterung im Wildpark Brudergrund bei Erbach - ganz ohne trennende Absperrung © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschweinfütterung im Dienst der Zoopädagogik © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschweingehege im Tierpark Köthen © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschweingehege im Wildpark Roggenhausen, Aarau © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Wildschweine in Durchfahrgehege im Wild- und Erlebnispark Daun © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

 

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Als einheimische Tierart, Ahnform des Hausschweins und wegen seiner sozialen Lebensweise ist das Wildschwein von besonderem zoopädagogischem Interesse. Dementsprechend wird es in enorm vielen zoologischen Einrichtungen gehalten und gehört namentlich in Wildparks zum Standardbesatz.

Körperbau und Körperfunktionen

Das Eurasische Wildschwein ist eine ziemlich große Schweineart mit spitz zulaufender Schnauze und ohne Gesichtswarzen. Innerhalb des großen Artareals haben sich Formen unterschiedlicher Größe herausgebildet, wobei die Bergmannsche Regel eingermaßen spielt. In Europa finden sich die kleinsten Tiere auf Sardinien (Sus scrofa meridionalis), die größten in den Karpaten und im Kaukasus (Sus scrofa attila). Die Kopf-Rumpflänge variiert daher von 90-200 cm, die Schwanzlänge von 15-40 cm, die Schulterhöhe von 55-110(-120) cm und das Gewicht von 44-320(-350) kg. In der Schweiz beträgt die mittlere Kopf-Rumpflänge der Keiler 144 cm, der Bachen 136 cm. Bachen erreichen im Allgemeinen etwa 80% der Größe der Keiler. Der Kopf der Wildschweine ist im Vergleich zum Körper groß, die Augen sind klein, die Ohren verhältnismäßig klein. Die oberen (Haderer) und unteren (Hauer) Eckzähne der Keiler bilden das nach oben gekrümmte "Gewaff", wobei die Hauer im Extremfall bis 30 cm lang werden können. Die bei den Bachen "Haken" genannten Eckzähne sind erheblich kürzer. Der massige Körper ist vorne überbaut. Es sind Voraugen-, Kinn-, Handgelenk und Präputialdrüsen vorhanden. Die Farbe des Fells variiert regional von gelbbraun bis schwarz. Die Bachen haben 8-16 Zitzen. Das Sommerfell ist sehr kurz. Das Winterfell besteht aus borstigen Grannenhaare, im Süden mit wenig, im Norden mit einer dichten Schicht Unterwolle. Von der Stirn läuft ein Kamm langer, aufstellbarer Borsten über den Rücken [5; 7; 15].

Verbreitung

Paläarktis: Fast ganz Europa (fehlt in Island; in Dänemark, Norwegen und Irland ausgestorben; wiederangesiedelt in Schweden); weite Teile Asiens (ohne Sibirien, zentralasiatische Hochländer und Wüsten, Inseln östlich von Java), Nordafrika (Algerien, Marokko, Tunesien, sonst ausgestorben) [12].

Außerhalb ihres natürlichen Areals wurden Wildschweine angesiedelt in Antigua und Barbuda, Argentinien, Australien, Brasilien, der Dominikanischen Republik, Ekuador (Galápagos), Fidschi, Haiti, Jamaika, Kolumnien, Kuba, Neuseeland, Papua-Neuguinea, Südafrika, Sudan, den USA und den amerikanischen Jungferninseln. Bei diesen Populationen handelt es sich oft um Bastarde zwischen Haus- und Wildschweinen [12].

Lebensraum und Lebensweise

Wildschweine besiedeln Laub- und Mischwälder mit sumpfigen Stellen, Moore, Fichtendickichte, Schilfgebiete, Strauchlandschaften und Kulturland, im Mittelmeergebiet Macchia und Garrigue. In den Alpen gehen sie während des Sommers bis auf eine Höhe von etwa 2'000 m. Sie sind tag- und nachtaktiv. Sie sind gute Schwimmer, durchqueren problemlos größere Flüsse, wie den Rhein, oder Seearme und schwimmen im Meer bis 6-7 km, um eine Insel zu erreichen. Insofern dürfte der 2019 entlang der Grenze zu Schleswig-Holstein errichtete Zaun nicht verhindern, dass Wildschweine aus Deutschland nach Dänemark gelangen. Sie bilden Mutterfamilien von 6-20 Individuen, auch Junggesellenverbände und es können Gruppen bis zu 100 Tieren beobachtet werden. Die Streifgebiete der Gruppen haben einen Umfang von 0.5-20 km². Sie fressen was ihen vor die Zähne kommt: Pflanzenmaterial aller Art (im Herbst gerne Eichen- oder Buchenmast), Wirbelose, Aas und Siedlungsabfälle, und töten und fressen auch Hirschkälber und Lämmer [1; 5; 7; 8; 15].

Wildschweine haben Mehrlingsgeburten. Nach einer Tragzeit von 112-121 Tagen werden in einem mit Pflanzenmaterial gepolsterten Nest ein- bis zweimal im Jahr meist 6 bis 8, im Extremfall bis 13 Junge aufs Mal geboren. Anders als bei Wiederkäuern werden die 750-1'000 (350-1'200) g schweren und mit einem gelb-braun längsgestreiftes Erstlingskleid versehenen Neugeborenen von der Mutter nicht aus den Embyonalhüllen befreit und trocken geleckt, sondern müssen selbst zugange kommen. Sie werden mit 3-4 Monaten entwöhnt und mit etwa 18 Monaten geschlechtsreif [5; 8; 15].

Gefährdung und Schutz

Aufgrund von Beurteilungen aus den Jahren 1996 und 2008 wurde das Wildschwein als nicht gefährdet eingestuft (Rote Liste: LEAST CONCERN), weil es eine sehr weite Verbreitung und eine große Gesamtpopulation hat, auch veränderte Lebensräume nutzen kann und in vielen Schutzgebieten vorkommt. Einzelne, namentlich auf Inseln lebende Populationen oder Unterarten sind jedoch wegen zu hohen Jagddrucks zumindest potenziell gefährdet [12].

Der internationale Handel ist nicht durch CITES geregelt.

Bedeutung für den Menschen

Wirtschaftliche Bedeutung: Wildschweine sind traditionell ein bedeutendes Jagdwild, das zur Fleischgewinnung genutzt und wegen Schäden an landwirtschaftlichen Kulturn dezimiert wird. Sie lieferten im Jagdjahrt 2017/18 allein in Deutschland 32'895 Tonnen Fleisch mit einem Wert von über 131 Millionen €. Sie vermischen sich mit extensiv gehaltenen Hausschweinen und stellen ein Reservoir für die Klassische und die Afrikanische Schweinepest sowie die Aujeszkysche Krankheit dar, die sich auf die domestizierten Bestände und den Fleischhandel katastrophal auswirken können [2; 12].

Die Afrikanische Schweinepest (ASP) hat ihren Ursprung südlich der Sahara. 1957 wurde die Seuche - wohl mit Fleischerzeugnissen - nach Portugal eingeschleppt, wo sie Haus- und Wildschweine erfasste und von wo sie sich auf andere Länder ausdehnte. 1960 erschien sie in Spanien, 1964 in Südfrankreich, 1967 erstmals  in Italien, 1987 auf Sardinien, 1985 in Belgien und 1986 in den Niederlanden. Dank rigoroser veterinärpolizeilicher Maßnahmen konnte die Seuche bis 1999 auf dem europäischen Festland überall ausgerottet werden [19]. Auf Sardinien läuft gegenwärtig noch ein Eradikationsprogramm [20]. In jüngerer Zeit kam es zu einer Einschleppung nach Georgien, wo 2007 die ersten, wohl durch illegale Entsorgung von Speiseabfällen afrikanischen Ursprungs verursachten Ausbrüche gemeldet wurden. Danach breitete sich die ASP westwärts aus. 2019 wurde Westpolen erreicht, und 2020 wurde der erste Fall bei einem Wildschwein im Spree-Neisse-Kreis nachgewiesen. Im Juli 2021 erfolgte der erste Nachweis bei Hausschweinen in Brandenburg. Mittlerweile (Juli 2022) sind die Bundesländer Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern betroffen. Detaillierte und aktuelle Angaben über das Auftreten von ASP sind auf https://www.tsis.fli.de/Reports/Info_SO.aspx?ts=011&guid=57efb1c2-568a-4fb6-948d-0d0548e6d139 verfügbar, weitergehende Informationen zur Seuche beim Schweizerischen Bundesamt für Veterinärwesen (mit Videos). Zoologische Einrichtungen in Risikogebiete müssen alle Haus- und Wildschweine aufstallen, eventuell sogar abschießen. Einzelne Zoos haben wegen der ASP-Problematik die Wildschweinhaltung aufgegeben [18]. Sämtliche Echten Schweine (Suidae) sind empfänglich für ASP, nicht aber die Pekaris.

Gesundheitliche Bedeutung: Wildschweine sind Träger von Trichinella spiralis, einem Fadenwurm, der beim Menschen nach Genuss von ungenügend erhitztem, befallenem Fleisch zu schweren Erkrankungen, eventuell mit tödlichem Ausgang führen kann, sowie des Schweinespulwurms Ascaris suum, der in Nordeuropa häufig für die Spulwurmkrankheit (Ascaridiose) beim Menschen verantwortlich ist. Ferner sind sie Reservoire für Brucella suis, einem Bakterium, das beim Menschen die Schweinebrucellose verursacht, von Leptospira pomona, dem Erreger der Schweinehüterkrankheit, sowie der Viruserkrankung Hepatitis E.

Kulturelle Bedeutung: Wildschweine sind auf mehr als 11'000 Jahre alten paläolithischen Höhlenmalereien anzutreffen, so etwa in Altamira. Sie spielten eine große Rolle in der altnordischen Mythologie. So war der goldborstige, funkensprühende Keiler "Gullinbursti" der ständige Begleiter des Gottes Freyr und zog dessen Wagen. Auch Freyrs Schwester Freya besaß einen goldborstigen, "Hildisvini" genannten Keiler, der ihr als Reittier diente. Der Keiler "Sæhrímnir"  wurde täglich von den im Kampf gefallenen Helden gejagt und getötet, um abends gesotten und von den Göttern, Helden und Odins Wölfen verzehrt zu werden. Dann wurde er wieder zum Leben erweckt, und die Geschichte wiederholte sich am folgenden Tag [10; 21].

Die Stadt Eberbach führt einen schwarzen Wildschweinkeiler im Wappen, ebenso die Stadt Wörlitz, Stadt und Landkreis Ebersberg und weitere Orte, ferner zieren Keiler oder Keilerköpfe die Wappen von Adelsfamilien, etwa derer von Bassewitz und derer von Hardenberg.

Wildschweine spielen auch eine Rolle in Fabeln, z.B. in "Stier, Löwin und Wildschwein" von Aesop oder in "Der Adler, die Wildsau und die Katze" "(L’Aigle, la Laie et la Chate"), die Jean de La Fontaine von Aesop adaptiert hat. Ferner in Volksmärchen, wie "Der singende Knochen" oder "Das tapfere Schneiderlein" aus der Sammlung der Gebrüder Grimm. Auch Hermann Löns erweist in seinen Tiergeschichten dem Wildschwein mit der Erzählung "Ein Hauptschwein" die Reverenz.

Situation in Mitteleuropa

Die Wildschweinbestände haben seit einigen Jahrzehnten um ein Mehrfaches zugenommen, wobei die Schwankungen von Jahr zu Jahr erheblich sein können. Im Jagdjahr 2019/20 wurden in Deutschland 882'231 (Vorjahr 599'855), 2020/21 in Österreich 34'541 (Vorjahr 47'251 in der Schweiz 9'819 (Vorjahr 12'966) und im Südtirol 13 Wildschweine erlegt. In Österreich kommen in Wildschweine in allen Bundesländern vor, wobei die Bestände in Salzburg, Tirol und Vorarlberg eher bescheiden sind. In der Schweiz kommen, von der Zentralschweiz (UR, SZ, OW, NW, GL, ZG) abgesehen, Wildschweine mittlerweile in allen Kantonen zur Strecke. Manchenorts stellen die eingezäunten Autobahnen ein Hemmnis für die Verbreitung der Tiere dar, so etwa in der Linthebene, wo Wanderungen zwischen St.Gallen einerseits und Schwyz/Glarus andererseits kaum möglich sind. Geplante Wildtierpassagen über mehrere Autobahnen werden die Verbreitung der Wildschweine befördern. Im Liechtenstein wurden die Wildschweine vermutlich im 17. Jahrhundert ausgerottet. Im 20. Jahrhundert traten 1926 und 28 Einzeltiere auf, die mit viel Aufwand zu Tode gebracht wurden. Nach dem 2. Weltkrieg kam es häufiger zu Einwanderungen und in den letzten Jahren wurde das Wildschwein zum regelmäßigen Wechselwild [2; 4; 7; 9; 13; 16].

Auch bei Wildschweinen ist die Tendenz zu beobachten, dass sie sich zunehmend menschliches Siedlungsgebiet als Lebensraum zunutze machen. Im Berliner Raum z.B. halten sich Wildschweine bevorzugt in den Randbereichen der Stadt auf. Dabei werden Grünflächen oft als Wanderpfade und Trittsteine benutzt, um tiefer in die Stadt einzudringen. Besonders in der trockenen, warmen Jahreszeit zieht es die Tiere in die Stadt, weil dann in den innerstädtischen Grünanlagen, auf Friedhöfen und in Gärten viel leichter Nahrung zu finden ist als im Wald. Im Jagdjahr 2008/09 wurden auf Berliner Stadtgebiet 3'035 Wildschweine erlegt, d.h. 3.4 Stück / 100 ha [10]. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sah sich deshalb veranlasst die Bevölkerung mittels Flugblättern zu informieren und u.a. Ratschläge dafür zu geben, wie man Grundstücke sichern kann und wie man sich bei einer Begegnung mit Wildschweinen verhalten soll.

Haltung

Eine Vergesellschaftung von Wildschweinen mit Rindern, mit erwachsenen Rothirschen und anderen Hirscharten sowie mit Mufflons ist möglich, ebenso mit Füchsen. So hält z.B. der Alpenzoo Innsbruck Wildschweine und Wisente zusammen, der Tierpark Lange Erlen in Basel Wildschweine und Rotfüchse. Eher ungewöhnliche Kombinationen gibt es z.B. mit Stachelschweinen, Kropfgazellen oder Mähnenspringern [17]. Manche Zoos versehen die Absperrung ihrer Wildschweingehege mit Durchschlüpfen, sodass die Frischlinge in den Besucherbereich gelangen können. In wenigen Zoos ist auch eine gitterlose Begegnung mit erwachsenen Wildschweinen möglich, so im Wildpark Langenberg bei Zürich oder im Wildpark Brudergrund im Odenwald.

Das Höchstalter wird von WEIGL für ein in einem japanischen Zoo gehaltenes Tier mit 27 Jahren und 8 Monaten angegeben, was wohl außergewöhnlich ist. In der Regel können die Tiere maximal etwa 20 Jahre alt werden [14].

Populationsmanagement: Weil Wildschweine mehrere Junge aufs Mal gebären, ist es unmöglich, dass jeder Frischling bis zu seinem natürlichen Tod im Zoo verbleibt, sondern es kommt oft vor, dass im Zoo halbwüchsige Wildschweine getötet und z.B. an die Wölfe verfüttert werden. Obwohl Fortpflanzung und Aufzucht das Leben der Zootiere ungemein bereichern, obwohl es ein natürlicher Vorgang ist, dass Huftiere von Raubtieren gefressen werden und obwohl die Tötung im Zoo angst- und schmerzfrei erfolgt, unterstellt das durch die Boulevardpresse vertretene "gesunde Volksempfinden" der Zooleitung oft unlautere Absichten und spricht von Mord, und auch der seriöseren Presse sind solche Ereignisse viel Papier und Druckerschwärze wert.

Dabei geht vergessen, dass jährlich in Deutschland, Österreich und der Schweiz über 50 Millionen Hausschweine im zarten Alter von sieben Monaten geschlachtet und zu Bratwürsten, Frankfurtern, Schweinshaxen, Speck und Schinken verarbeitet werden. Im Mittel verzehrt jeder Einwohner, ob Mann, Frau oder Kleinkind, eine Schweinehälfte pro Jahr. Das ist kein Thema. Dass die Haltungsbedingungen der geschlachteten Tiere vielfach inadäquat gewesen, die Transporte zum Schlachthaus mit Stress verbunden und die Betäubungsmethoden – Elektroschock oder Vergasen – nicht über alle Zweifel erhaben sind, stört die Konsumentenschaft wenig. Auch, dass jedes Jahr allein in den deutschsprachigen Ländern über 800'000 Wildschweine mehr oder weniger waidgerecht vom Leben zum Tode befördert - im Klartext, von Treibern und Hunden aufgescheucht, durch den Wald gejagt und dann auf der Flucht erschossen – wurden, interessiert bestenfalls ein paar Tierrechtler [3].

Haltung in europäischen Zoos: Die Art wird in rund 460 zoologischen Einrichtungen, hauptsächlich Tier- und Wildparks gehalten, von denen sich etwa 260 im deutschsprachigen Raum befinden. Für Details siehe Zootierliste.

Forschung im Zoo: Obwohl Wildschweine häufig in Zoos gehalten werden, sind sie nur selten Gegenstand von Foschungsarbeiten [z.B. 6], was damit zusammenhängen mag, dass es sich bei vielen Haltungen um nicht wissenschaftlich geleitete Wildparks handelt und die Tiere als einheimische Art leicht für Feldarbeiten zugänglich sind.

Mindestanforderungen an Gehege: Das Säugetiergutachten 2014 des BMEL gibt vor, dass für eine Gruppe bis zu 3 erwachsenen Eurasischen Wildschweinen ein Gehege von 100 m² gestellt werden sollte, für jedes weitere Tier 10 m², für jedes weitere Zuchttier (gemeint sind wohl Bachen) 40 m² zusätzlich. Bei extensiver Haltung sollen Gruppen von mindestens 1 Eber und 4 Bachen gehalten werden. Der gleiche Text war auch in den Leitlinien für eine tierschutzgerechte Haltung von Wild in Gehegen enthalten, allerdings als Empfehlung. Es ist aber unsinnig, eine solche Empfehlung als Mindestanforderung zu übernehmen, da dasselbe Gutachten im Zoogehege die paarweise Haltung zulässt und es auch keinen Grund gibt, die extensive Haltung nicht-züchtender Gruppen nicht zuzulassen. Im Weiteren besagt das Gutachten, dass Wildschweingehege grundsätzlich nur in Abwesenheit der Tiere zu betreten sind. Dies ist für extensive Haltungen praxisfremd – in verschiedenen Wildparks gibt es sogar für die Besucher begehbare Wildschweinanlagen – und ist in Zoohaltungen nicht immer erforderlich. Außerdem handelt es sich nicht um eine tierschutzrelevante Anforderung.

In der Schweizerischen Tierschutzverordnung (Stand 01.06.2022) wird für 2 Tiere ein Gehege von 100 m² mit natürlichen oder künstlichen Unterständen, die allen Tieren gleichzeitig Platz bieten, vorgeschrieben. Für jedes weitere Adulttier ist die Fläche um 20 m² zu erweitern.

Die 2. Tierhaltungsverordnung Österreichs enthält keine Vorschriften für Eurasische Wildschweine.

Taxonomie und Nomenklatur

Das Eurasische Wildschwein wurde erstmals 1758 von Carl von LINNÉ unter seinem heute noch gültigen Namen beschrieben. Es wurden mindestens 35 Unterarten aufgestellt, von denen gegenwärtig nach HANDBOOK noch 19 anerkannt sind. Für manche dieser Unterarten wurde ursprünglich Artstatus postuliert [10; 15]. In Zoos im deutschsprachigen Raum ist davon auszugehen, dass die Nominatform gezeigt wird, in Rumänien und der Ukraine S. s. attila, in Spanien und Portugal die im HANDBOOK nicht anerkannte S. s. castillianus [Zootierliste].

Die Wildschweine der Gattung Sus sind sehr vielgestaltig und je nach taxonomischer Modeströmung werden sie auf mehr oder weniger Arten verteilt. Erna MOHR stellte 1960 fest: "Mit der rigorosen Zusammenziehung der eurasischen Wildschweine der Gattung Sus, wie FORSYTH MAJOR sie bereits 1897 vorschlug, wird man der Sachlage vermutlich am ehesten gerecht." Heute wird von 8 Arten ausgegangen, von denen vier auf den Philippinen und drei in Indonesien/Malaysia vorkommen [10; 15].

Literatur und Internetquellen

  1. BREHM, A. E. (1882-1887)
  2. DEUTSCHER JAGDSCHUTZVERBAND, JAGDSTATISTIK
  3. DOLLINGER, P. (Hrsg., 2003)
  4. EIDG. JGAGDSTATISTIK
  5. GRIMMBERGER, E. & RUDLOFF, K. (2009)
  6. HARMUTH, D. (1962)
  7. HAUSSER, J. (1995)
  8. HEDIGER, H. (1951)
  9. LIECHTENSTEINER JÄGERSCHAFT
  10. MOHR, E. (1960)
  11. MÖLLERS, F. (2010)
  12. OLIVER, W. & LEUS, K. (2008). Sus scrofa. The IUCN Red List of Threatened Species 2008: e.T41775A10559847. http://www.iucnredlist.org/details/41775/0. Downloaded on 25 May 2018.
  13. <STATISTIK AUSTRIA
  14. WEIGL, R. (2005)
  15. WILSON, D. E. et al. eds. (2009-2019)
  16. GRAF, R. & FISCHER, C. (2021)
  17. SVÁBIK, K. (2021)
  18. BMEL (abgerufen 12.05.2022): Afrikanische Schweinepest (ASP): Informationen zu Fällen in Deutschland.
  19. ARIAS, M. & SÁNCHEZ-VIZCAÍNO (2008)
  20. FRANZONI, G. et al. (2020)
  21. HOFMANN, H. (1991)

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© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx