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KOHLI, L. & BIRRER, S. (2003)

Verflogene Vielfalt im Kulturland - Zustand der Lebensräume unserer Vögel.

Avifauna Report, Sempach, Nr. 2. 72 Seiten.

Zusammenfassung:

In der Schweiz sind die Bestände vieler Brutvogelarten des Kulturlandes in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen. Dies als Folge eines Verlustes naturnaher Landschaftselemente. Im vorliegenden Bericht ziehen wir Bilanz über den aktuellen Zustand des Kulturlandes im Schweizer Mittelland und zeigen aktuelle Beispiele von Landschaftsaufwertungen auf.

Der Bericht beruht auf einer Auswertung von 127 Gebieten. Die naturnahen Landschaftselemente wurden kartiert, beschrieben und nach ökologischen Kriterien bewertet. Dabei wurden primär die Lebensraumbedürfnisse der Vögel berücksichtigt.

Im Kulturland des Schweizer Mittellandes ging der Anteil der naturnahen Landschaftselemente gegenüber früher stark zurück und liegt heute für viele Vogelarten zu tief. Zwei Drittel der untersuchten Gebiete weisen weniger als 7% naturnahe Landschaftselemente auf. Nur ein Zehntel der untersuchten Gebiete verfügt über mindestens 15% naturnahe Landschaftselemente und kann somit als strukturreich bezeichnet werden.

Die Qualität der vorhandenen Landschaftselemente ist in vielen Fällen ungenügend. Zum Beispiel stehen neun von zehn Hochstamm-Obstgärten auf einer intensiv genutzten Wiese. Den Obstgartenbewohnern steht daher nur ein stark eingeschränktes Nahrungsangebot zur Verfügung. Feuchtgebiete, Wildkrautfluren und Blumenwiesen sind mehrheitlich zu kleinflächig oder ihre Struktur entspricht nicht den Bedürfnissen anspruchsvoller Arten. Viele Arten sind zudem auf ein vielfältiges Mosaik naturnaher Landschaftselemente angewiesen, zum Beispiel auf Hecken kombiniert mit Blumenwiesen. Solche Kombinationen sind im Mittelland heute sehr selten.

Die räumliche Vernetzung mit linearen Elementen wie Hecken und Fliessgewässern ist über grosse Gebiete noch genügend. Die Säume entlang dieser Strukturen sind jedoch zu schmal, um die Funktion als Übergangszonen zwischen verschiedenartigen Lebensräumen zu erfüllen.

In höheren Lagen ist die Situation besser als im Mittelland. Es zeichnet sich aber auch hier eine deutliche Verschlechterung ab. Zwei gegenläufige Tendenzen sind zu verzeichnen: Die am besten zugänglichen Flächen werden zunehmend intensiver bewirtschaftet, die Nutzung abgelegener oder weniger ertragreicher Flächen wird hingegen aufgegeben. Nach einiger Zeit verbuscht das Kulturland und wird schliesslich zu Wald. Beide Tendenzen führen zu einer Abnahme der Artenvielfalt, da die Kulturlandarten durch diese Prozesse immer stärker verdrängt werden und schlussendlich verschwinden.

Trotz der negativen Bilanz, sowohl beim Anteil naturnaher Landschaftselemente als auch bei deren Qualität, gibt es auch positive Signale. Die dargestellten Fallbeispiele zeigen, dass das Kulturland erfolgreich aufgewertet werden kann. Wo bestehende Lebensräume aufgewertet und neue angelegt wurden, haben die Bestände verschiedener gefährdeter Tierarten oft unerwartet rasch wieder zugenommen.

Der Bund hat sich zum Ziel gesetzt, die Artenvielfalt in der Schweiz zu erhalten und bedrohte Arten zu fördern. Soll dieses Ziel erreicht werden, braucht es grossflächige Massnahmen. Insbesondere muss das geltende Recht konsequent zu Gunsten der Artenvielfalt ausgelegt werden. Mit den landwirtschaftlichen Direktzahlungen sind vermehrt die ökologischen Leistungen der Ausgleichsflächen zu entschädigen. Die Raumplanung sowie der Gewässer- und Strassenbau müssen verstärkt auf die Bedürfnisse der Tier- und Pflanzenarten ausgerichtet werden.

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© Peter Dollinger, Zoo Office Bern hyperworx