Entgegen der Meinung vieler selbsternannter Tierschützer, besteht keinerlei Zusammenhang zwischen der Größe des Territoriums oder Streifgebiets, das ein Tier in der Wildbahn benötigt, und der Größe des Geheges, das ihm im Zoo anzubieten ist (siehe dazu "Was Tiere brauchen"). In Menschenobhut gehaltene Tiere müssen aber in jedem Fall Gehege haben, die so groß, so eingerichtet und so gestaltet sind, dass sie darin alle ihre Grundbedürfnisse befriedigen können, und die ihrem Verhalten angemessen Rechnung tragen. Auf Verordnungsstufe festgelegte Mindestabmessungen müssen auch dann respektiert werden, wenn sie wenig sinnvoll sind. Zahlen aus Gutachten können grundsätzlich hinterfragt werden, auch wenn dies den Kontrollorganen nicht immer passt. Den Haltungsempfehlungen des Europäischen Zoo- und Aquarienverbands ist, wenn immer möglich, nachzuleben.
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In allen deutschsprachigen Ländern müssen Gehege von Gesetzes wegen eine Mindestgröße aufweisen, denn einmal darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so eingeschränkt werden, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden, andererseits muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend verhaltensgerecht untergebracht werden [6; 11; 12; 13; 14]. Auch die Zoo-Richtlinie der EU verlangt dass Zoos ihre Tiere unter Bedingungen halten, "mit denen den biologischen und den Erhaltungsbedürfnissen derjeweiligen Art Rechnung getragen werden soll" [10]. In Österreich und der Schweiz legen die einschlägigen Verordnungen für viele Tierarten verbindliche Mindestmaße fest, was im Rahmen der föderalistischen Systeme der beiden Länder einen relativ einheitlichen Vollzug gewährleistet. Liechtenstein, das mit der Schweiz einen gemeinsamen Veterinärraum bildet, hat die Zahlenwerte der Schweiz übernommen. In Deutschland versucht man, das Gesetz durch vom zuständigen Ministerium herausgegebene Sachverständigen-Gutachten zu konkretisieren. Diese sind zwar nicht verbindlich, werden aber von vielen Veterinärämtern gehandhabt, wie wenn sie Gesetzeskraft hätten. Dies ist nicht legitim - Gutachten sind bestenfalls Entscheidungshilfen, aber gegen andere Erkenntnisse und Überlegungen abzuwägen - kann jedoch namentlich beim Säugetiergutachten einschneidende Konsequenzen haben [1]. Nebst dem Vorteil der Vereinheitlichung des Vollzugs haben gesetzlich oder behördlich festgelegte Minimal-Raumangeboten den Nachteil, dass sie, in Widerspruch zu den Anforderungen des Gesetzes, wissenschaftlich auf sehr schwachen Füßen stehen. Denn während im Nutztierbereich Fragen der Rentabilität eine Rolle spielen und daher versucht wird, wissenschaftlich auszuloten, was gerade noch geht, ist dies bei den Zoos nicht der Fall; denn diese bemühen sich grundsätzlich, ihre Tiere unter möglichst optimalen Konditionen zu halten. Diese unterschiedlichen Auffassungen haben ihren Niederschlag in den offiziellen Mindestanforderungen gefunden mit dem Resultat, dass Haus- und Wildtierformen derselben oder nahe verwandter Arten, die im Prinzip die gleichen Ansprüche haben, völlig unterschiedlich behandelt werden.Während z.B.in der Schweiz das Raumangebot für eine Sau und einen Zuchteber der domestizierten Form nur 8.5 m² betragen muss, muss ein Paar Wildschweine 100 m² zur Verfügung haben. Zudem besteht die Tendenz, die Mindestanforderungen ständig zu erhöhen, auch wenn es keinerlei wissenschaftlichen Grundlagen gibt, die für eine solche Notwendigkeit sprechen, und kein Mensch begründen kann, weshalb in der Schweiz z. B. die Mindestfläche für ein Paar Wildschweine von 80 m² in der Tierschutzverordnung von 1981 im Jahr 2003 auf 100 m² erhöht wurde. Oft werden auch vorhandene wissenschaftlichen Erkenntnisse oder Haltungserfahrung nicht beachtet. Das Ergebnis können Vorgaben sein, die ungeeignet, teilweise sogar tierschutzwidrig sind, und die, wenn befolgt, zu Gehegen und Anlagen führen, die von den darin gehaltenen Tieren gar nicht genutzt werden können bzw. deren Verhaltensrepertoire gravierend entgegenstehen [7]. Häufig werden auch Forderungen gestellt, die auf falschen Annahmen beruhen, etwa dass eine sozial lebende Tierart feste Individualabstände habe. Dies trifft so nicht zu. Wie beim Menschen auch kann die Individualdistanz zwischen Individuen, die sich mögen, Null sein, währenddem solche, dies sich nicht mögen, einander tunlichst aus dem Weg gehen. Dasselbe gilt für die Fluchtdistanz gegenüber dem Menschen, die bei frisch aus der Wildbahn entnommenen Tieren erheblich sein kann, bei eingewöhnten oder im Zoo geborenen Individuen aufgrund ihrer Zahmheit klein ist oder, wenn sich zwischen Mensch und Tier eine Absperrung befindet, auf Null sinken kann [4]. Auch die Annahme, dass kleinere Arten innerhalb einer taxonomischen Einheit weniger Platz benötigten, als große, ist nicht immer zutreffend, so etwa bei den Katzen, wo den faulen und dominanten Löwen große Anlagen zugestanden werden, die sie wenig nutzen, währenddem die bewegungsfreudigen und eher furchtsamen Kleinkatzen oft mit (zu) kleinen Gehegen auskommen müssen [5]. Oft werden auch alte Fehler nicht korrigiert. So wird in der Regel eine Mindestgröße für eine Kerngruppe von Tieren festgelegt und für jedes weitere Tier z.B. 10% zusätzlicher Raum gefordert, ohne die Frage zu prüfen, ob es sich um soziale oder um solitäre Tiere handelt. Solche Fehler und Ungereimtheiten im deutschen Säugetiergutachten hat der Verband der Zoologischen Gärten im Rahmen seines Differenzprotokolls bemängelt [1]. Natürlicherweise solitär lebende Tiere sollten einzeln, nur paarweise oder eventuell in kleinen Gruppen gehalten werden, wobei in den letzteren Fällen Abtrennmöglichkeiten zur Verfügung stehen müssen. Es wird von "artgerechter" Haltung gesprochen, obwohl die Haltung allenfalls "artgemäß" sein kann, in jedem Fall aber "tiergerecht" sein muss. Denn es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ein Gehege von einer Zuchtgruppe mit Jungtieren bewohnt wird, die viel spielen und die Erwachsenen zu Aktivitäten animieren, oder ob darin eine nicht-züchtende Gruppe Erwachsener mittleren Alters lebt, oder ob in ihm eine Gruppe von Senioren ihren geruhsamen Lebensabend verbringen soll. Die EAZA macht in ihren "Standards for the Accommodation and Care of Animals in Zoos and Aquaria" nur qualitative Vorgaben, sagt also, was das Gehege gewährleisten soll [3]. In den EAZA Best Practice Guidelines für einzelne Arten oder Tiergruppen werden bisweilen Gehegegrößen empfohlen, in anderen Fällen Beispiele erfolgreicher Haltungen aufgezeigt, oder es wird auf die Angabe von Zahlenwerten ganz verzichtet. In Ermangelung wissenschaftlicher Arbeiten, die als Grundlage für gesetzliche Mindestanforderungen dienen können, sind Übersichtsuntersuchungen über bestehende Haltungen [z.B. 2] hilfreich, aus denen hervorgeht, ob und unter welchen Bedingungen tierschutzrelevante Sachverhalte auftreten. Wie bereits festgestellt, orientieren sich Zoos beim Bau neuer Gehege in der Regel nicht an Mindestgrößen, sondern streben eine möglichst optimale Haltung an, was ein höheres Raumangebot bedingt. Dabei darf man allerdings nicht dem Irrtum unterliegen, dass das Prinzip "je größer, je besser" gelte. Kleinere, aber gut eingerichtete Gehege können die Bedürfnisse ihrer Insassen in der Regel besser abdecken als große, denen aqäquate Strukturen abgehen [9]. Ab einer bestimmten Gehegegröße nimmt ferner die Lebensqualität für das Tier nicht mehr zu und es können Nachteile auftreten, etwa dadurch, dass eine regelmäßige Kontrolle der Gesundheit und damit eine zeitgerechte tierärztliche Versorgung bei Krankheit oder Unfall erschwert ist. Bei alten, räumlich beengten Gehegen schaut durch eine bessere Einrichtung auch bei gleich bleibender Fläche ein Gewinn an Lebensqualität für das Tier heraus. Ein schönes Beispiel dafür ist die Anlage für Malaienbären im Allwetterzoo Münster. Es ist auch sinnvoll, umgestaltete Gehege mit einer Art zu besetzen, die geringere Raumansprüche hat, z.B. Nasenbären anstatt einer Großbärenart. Staatliche Kontrollorgane sollten bedenken, dass nicht wichtig ist, was man vorne an Quadrat- und Kubikmetern reinsteckt, sondern was hinten rauskommt, nämlich vitale, gesunde Tiere, die sich möglichst normal verhalten und, wo gewünscht, sich fortpflanzen und ihre Jungen aufziehen. |
Literatur und Internetquellen
- BMEL - SÄUGETIERGUTACHTEN
- DORNBUSCH, T. & GREVEN, H. (2009)
- EAZA (2019)
- HEDIGER, H. (1980)
- LEYHAUSEN, P. (1962)
- LOI du Grand-Duché de Luxembourg du 27 juin 2018 SUR LA PROTECTION DES ANIMAUX
- JENSCH, B., BAUR, M., BRANDSTÄTTER, F., FRIZ, T., KÖLPIN, T., SCHMIDT, F., SOMMERLAD, R. & VOIGT, K.-H. (2009)
- JENSCH, B., BAUR, M., BRANDSTÄTTER, F., FRIZ, T., KÖLPIN, T., SCHMIDT, F., SOMMERLAD, R. & VOIGT, K.-H. (2009A)
- MOREIRA, N., BROWN, J.L: MORAES, W., SWANSON, W.F. & MONTEIRO FILHO W.L.A. (2007)
- RICHTLINIE 1999/22/EG DES RATES vom 29. März 1999 über die HALTUNG VON WILDTIEREN IN ZOOS
- TIERSCHUTZGESETZ der Bundesrepublik Deutschland vom 24.07.1972
- TIERSCHUTZVERORDNUNG (TSchV) der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 23. April 2008
- TIERSCHUTZVERORDNUNG (TSchV) des Fürstentums Liechtenstein vom 14. Dezember 2010
- 2. TIERHALTUNGSVERORDNUNG der Republik Österreich vom 17. Dezember 2004
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